Schwerter und Rosen
Und wäre nicht vom anderen Ende des Hofes das helle Klingen von Kamelgeschirr an ihr Ohr gedrungen, hätte sie ihm erlaubt, den vorsichtigen Erkundungsgang weiterzuführen. Stattdessen nahm sie schwer atmend die Hände aus seinem Nacken, lehnte sich in seinen Armen zurück und blickte mit einer Mischung aus Bedauern und Unwillen über die Störung in seine liebevollen Augen.
»Du solltest besser gehen«, seufzte sie und löste sich schweren Herzens aus seiner Umarmung, nachdem sie ihm einen letzten, flüchtigen Kuss auf die Lippen gedrückt hatte. Bedauernd trat sie gerade noch rechtzeitig von ihm zurück, um den beiden Dienern, die wie zufällig ein schmutzig-graues Lastkamel am Zügel in ihre Richtung führten, keinen Anlass zum Klatsch zu bieten. Seit der Rückkehr ihres Vaters war es beinahe unmöglich geworden, die so hoch geschätzten Augenblicke mit Curd von Stauffen zu genießen, ohne dass einer der von Daja Beauftragten sie mit seiner Moral behütenden Anwesenheit störte. »Kann ich dich morgen sehen?«, flüsterte Curd mit einem verdrießlichen Stirnrunzeln in Richtung der beiden jungen Männer, die an dem Brunnen haltgemacht hatten, um das Tier zu säubern und zu tränken. Die darin aufblitzende Hoffnung verlieh den braunen Augen des jungen Mannes einen beinahe goldenen Ton. Als Rahel mit einem scheuen Seitenblick auf den in diesem Augenblick aus dem zweistöckigen Gebäude tretenden Nathan nickte, löste sich wie jedes Mal, wenn sie ihm ein weiteres Treffen versprach, ein Gewicht von seinem Herzen. »Herr.« Der Jude, dessen Miene besorgt wirkte, hatte die beiden inzwischen erreicht und verneigte sich leicht vor Curd, der den Gruß mit einem Nicken erwiderte, bevor er sich förmlich von den beiden verabschiedete. »Rahel, ich muss dich sprechen.« Der Unterton, der in Nathans Stimme mitschwang, gefiel dem Mädchen überhaupt nicht. Doch sie senkte folgsam den Kopf und eilte ihm mit einem letzten, sehnsüchtigen Blick auf ihren Liebsten, der inzwischen das Tor erreicht hatte, ins Haus hinterher.
»Rahel«, hub Nathan an, nachdem er auf einem weich gepolsterten Schemel Platz genommen und die leicht verrutschte Kopfbedeckung zurechtgerückt hatte. Seine grauen Augen glitten ziellos über Pergamentrollen, Kisten und Säcke, bevor sie schließlich auf seiner Ziehtochter zum Ruhen kamen. »Ich muss dir etwas sagen, das ich dir nicht so lange hätte verheimlichen dürfen.« Er seufzte, und Rahel, die neben ihm stand, legte sanft die Hand auf seine Schulter. »Vielleicht solltest du dich auch setzen, Kind.« Mit einem leicht zitternden Finger wies er auf einen zweiten Schemel, den Rahel heranzog, um ihn nun neugierig zu mustern. »Du kannst dich vermutlich nicht daran erinnern«, begann der Kauffahrer bedächtig und zupfte fahrig an seinem sorgfältig gestutzten Bart, bevor er weiter sprach. »Aber als du kaum ein Jahr alt warst, starb dein Vater bei der Belagerung von Aleppo.« Rahel nickte. Diese Geschichte hatte Daja ihr bereits vor mehreren Jahren erzählt. Und sie war bis zum heutigen Tag davon ausgegangen, dass die wenigen Einzelheiten, die man ihr mitgeteilt hatte, die einzigen Tatsachen waren, die über ihre Familie bekannt waren. Sollte sie sich all die Jahre getäuscht haben?
»Was ich dir allerdings verschwiegen habe«, fuhr Nathan nach einer kurzen Pause, in der Rahel ihn mit zusammengezogenen Brauen anblickte, mit einem Seufzer fort, »ist, dass dein Vater keineswegs ein Jude war, wie du immer angenommen hast.« Erstaunt öffnete das Mädchen den Mund, um etwas zu fragen. Aber Nathan hielt sie mit einer Handbewegung und einem leisen, unverständlichen Murmeln davon ab. »Dein Vater war ein fränkischer Ritter, der mir einmal das Leben gerettet hat«, flüsterte er schließlich mit Tränen in den Augen, nachdem er einige Momente mit sich gerungen hatte. »Was?« Fassungslos hing Rahel an den Lippen ihres Ziehvaters. »Dein richtiger Name ist Blanda von Filnek.« Langsam, mit zähen Bewegungen zog Nathan das Bündel, mit dem Daja ihn konfrontiert hatte, hinter einem Ballen Tuch hervor und wickelte es auf. Als sie das ausgebleichte Wappen und die in den Mantel eingeschlagenen Dinge erblickte, sprang Rahel auf und ließ sich davor auf die Knie fallen, um den kostbaren Dolch, das winzige Kleidchen und die bestickte Decke mit den Fingern zu berühren.
»Vater«, stammelte sie und blickte zu Nathan auf, von dessen Wimpern sich eine dicke Träne löste und die bärtige Wange hinabrann. »Ich durfte
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