Schwerter und Rosen
Schlund der Schlucht gestoßen worden waren, trotteten die Männer unbeirrt, doch auf der Hut, weiter. Schließlich, nach scheinbar endlosen Stunden des Anstieges, erreichten sie ohne weitere Zwischenfälle die anatolische Hochebene.
Kaum knarrten allerdings die letzten Wagen des Trosses über den vor Trockenheit rissigen Boden des Hochlandes, als aus der Ferne bereits erneutes Kampfgeheul erscholl. Nur wenige Augenblicke später galoppierte eine mit Steinschleudern und Bögen bewaffnete Horde Nomaden auf die in den vergangenen Monaten stark geschrumpfte Streitmacht der Deutschen zu, die kurz durcheinandergeriet. Innerhalb weniger Augenblicke legte sich die Verwirrung jedoch, und das Heer der Kreuzfahrer formierte sich, um zum Gegenangriff anzusetzen. Angestachelt von Wut und Verzweiflung fuhren die deutschen Streiter wie ein Gottesgericht zwischen die Nomaden, deren Waffen denen der Kreuzfahrer nicht gewachsen waren. Einzig die geschleuderten Steine richteten einigen Schaden in ihren Reihen an. Mit einem hässlichen Geräusch wurde der Herzog von Schwaben aus dem Sattel geschleudert. Als Arnfried von Hilgartsberg vom Rücken seines Schimmelhengstes sprang, um nach ihm zu sehen, gab Friedrich von Hausen seinem Tier die Sporen, um sich der Verfolgung der inzwischen fliehenden Angreifer anzuschließen. »Was ist mit Euch, Herr?« Auch Ansbert war neben dem am Boden liegenden, heftig blutenden Herzog auf die Knie gegangen, um sich um die Wunde zu kümmern. Doch der Gestürzte rappelte sich rasch wieder auf, wischte sich über das blutverschmierte Gesicht und schob die Hand in den Mund. »Wunderbar«, versetzte er trocken und förderte einen ausgeschlagenen Zahn zutage. »Zum Glück ist es nur ein Backenzahn!« Bevor Ansbert oder Arnfried etwas darauf erwidern konnten, verwandelte sich das Kriegsgeheul der Deutschen in lautes Wutgeschrei. Da sie durch den Sturz des Herzogs jedoch inmitten der Fußsoldaten eingekeilt waren, blieb den Männern keine andere Wahl als ihre Neugier bis zur Rückkehr der Kämpfer in Zaum zu halten.
Was sie allerdings erfuhren, als die Ritter aus dem erfolgreichen Gefecht zurückkehrten, erfüllte sowohl Ansbert als auch Arnfried mit tief empfundener Trauer. Ein vom Oberrhein stammender Ritter führte Friedrich von Hausens Falben am Zügel. Über dem Rücken des Tieres lag sein von einem feindlichen Pfeil getöteter Herr, der wegen der unmenschlichen Hitze beim Aufstieg den Brustpanzer abgenommen hatte. »Nein!«, flüsterte Arnfried von Hilgartsberg und legte dem Toten die Hand auf die noch schweißnasse Stirn, kaum hatte er sich zu ihm durchgekämpft. »Nicht er!« Ohne sich um die Blicke der anderen zu kümmern, schloss er Friedrich die Augen und ballte die Hände zu Fäusten. Warum hier? Am Ende der Welt in einem nichtigen Geplänkel mit Bauern?, fragte er sich verbittert. Warum nicht im Kampf um die Heilige Stadt? Er unterdrückte ein Stöhnen und griff nach dem Zügel, um Friedrichs Leiche eigenhändig zu den anderen Gefallenen zu bringen. Noch am vergangenen Abend hatte er stundenlang mit dem Ritter und Minnesänger über sein geplantes Versepos gefachsimpelt und ihm vom Nibelungenhort, von Drachenblut, Zwist und Liebe erzählt. Woraufhin Friedrich ihm voller Stolz ein erst vor Kurzem erbeutetes Damaszenerschwert gezeigt hatte, das so scharf war, dass es ein in der Strömung eines Flusses schwimmendes Blatt schneiden konnte. »Wenn Ihr ein Vorbild für Euer sagenhaftes Schwert braucht, nehmt meines«, hatte er grinsend bemerkt und mit Arnfried angestoßen. »Das werde ich, alter Freund«, flüsterte Arnfried erstickt und befreite Friedrichs Waffe. Beinahe andächtig ließ er den Blick darübergleiten, während die Erinnerung an den vergangenen Abend ihn zu überwältigen drohte. »Das werde ich.«
Jerusalem, Moslemisches Viertel, Juni 1190
Mit einem wohligen Seufzen räkelte Philippa sich in den seidenen Kissen, die achtlos auf dem ausladenden Diwan verstreut waren. Ihr weißblondes, hüftlanges Haar fiel wie ein Fächer aus gesponnenem Sonnenlicht über den in kraftvollen Farben bestickten Überwurf, den sie mit den Zehen über ihre nackten Waden zog. Ihre Augen waren geschlossen, und erst als ein Geräusch vor dem Fenster sie aufschreckte, öffnete sie die Lider und ließ den eisblauen Blick durch das abgedunkelte Gemach gleiten. In dem von der freskengeschmückten Decke hängenden, goldenen Käfig flatterte der Kolibri des Sultans aufgeschreckt von einer Ecke in die
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