Schwerter und Rosen
Ernte bereits so hoch stand, dass die ersten Bauern ihre Felder schon abgeerntet hatten, um erneut die Saat auszubringen. Nur einmal alle zehn Jahre erlaubten die Vollmonde des Sommers eine solche Ausnahme. Doch die Bewohner des fruchtbaren Landstriches verfügten über genug überliefertes Wissen, um die Zeichen rechtzeitig zu erkennen.
Am vergangenen Abend hatte Aliénors Vasall – der Herr der Festung – den Zug der Damen gastfreundlich empfangen. Und nach einer erholsamen Nacht mit ausreichend Schlaf auf einer weichen Matratze betrachtete Catherine versonnen die träge, nicht weit von ihrem Aussichtspunkt auf den Zinnen entfernt dahinfließende Dordogne. Über einhundertfünfzig Meilen hatten sie seit ihrem Aufbruch von Poitiers bereits zurückgelegt, und etwa dieselbe Entfernung lag nun noch vor ihnen, bevor sie das Königreich Navarra erreichen würden. Aliénor hatte die Damen gewarnt, warme Gewänder und Umhänge einzupacken, da ihr Weg dorthin sie durch die zu dieser Jahreszeit noch empfindlich kühlen Pyrenäen führen würde. Aber an diesem prachtvollen Sommertag wirkte der Gedanke an schneebedeckte Gipfel lächerlich unangemessen. Catherine war froh, dass ihre Route in das benachbarte Königreich nicht durch Feindesland verlief, da sowohl Aquitanien als auch die Gascogne zum Einflussbereich der mächtigen Königinmutter gehörten. Wie mühelos die alte Dame die anstrengende Reise zu verkraften schien! Bei dem zu ihren Ehren veranstalteten Bankett am Abend zuvor hatte sie gelacht und gescherzt wie eine junge Frau und die Komplimente der charmanten Gascogner mit geübter Grazie entgegengenommen.
Catherine seufzte. Obwohl der Weg bisher durch fruchtbares, nur leicht hügeliges Gelände geführt hatte, und sie die Nächte meist auf Burgen oder Landsitzen verbracht hatten, erschien ihr der Zug beschwerlich und langweilig. Lange hatte sie es sich nicht eingestehen wollen. Doch nachdem der Brief aus Winchester sie am Hof von Poitiers erreicht hatte, war ihr klar geworden, wie sehr Sophie ihr fehlte. Auch wenn sie froh war über die Wendung, welche das Schicksal der lebenslustigen Freundin vor nur zwei Monaten genommen hatte, als ihr prügelsüchtiger Gemahl sich bei einem Reitausflug das Genick gebrochen hatte, hätte sie Sophie dennoch lieber an ihrer Seite gewusst als auf dem Anwesen des Herzogs. Da Henrietta und Cecile in Poitiers zurückgeblieben waren, und die übrigen Begleiterinnen der Herzogin von Aquitanien mehr als zehn Jahre älter waren als Catherine, litt das Mädchen immer öfter unter quälender Einsamkeit, die nicht einmal der Gedanke an Harold of Huntingdon vertreiben konnte. Wie gerne hätte sie ihre Gefühle für den jungen Mann mit Sophie geteilt! Und wie viel hätte sie dafür gegeben, der gutmütigen Freundin von ihm vorzuschwärmen, den Blick seiner blauen Augen oder den zerzausten blonden Schopf zu beschreiben!
Wo er wohl inzwischen ist?, fragte sie sich sehnsüchtig. Und ob sie ihn wirklich – wie von Aliénor versprochen – im nächsten Frühjahr wiedersehen würde? Mit schwerem Herzen raffte sie die im heftigen Westwind flatternden Röcke, wandte dem Ausblick den Rücken und stieg die Treppe in den sonnendurchfluteten Innenhof der Festung hinab, um ihren Pflichten nachzukommen. Eigentlich hätte sie der Königinmutter schon längst die geforderte Auskunft über die verfügbaren Vorräte, die ihr Zug mit auf die Reise nehmen konnte, weitergeben müssen. Aber auf dem Weg von dem flachen Küchengebäude zurück zum Haupthaus hatte sie die mit Wehrtürmen besetzte Mauer beinahe magisch angezogen. Und – einmal oben angekommen – hatte sie die Dringlichkeit ihrer Aufgabe vergessen. Mit schlechtem Gewissen eilte sie über den makellos gefegten Hof, drückte sich an den Wachen vorbei und hastete die Treppen hinauf zum Gemach ihrer Herrin.
Fontainebleau, Juni 1190
»Drei Meilen Abstand sollten genügen«, stellte Richard mit einem verkniffenen Blick auf die Festung von Fontainebleau an seinen Knappen Mortimer gewandt fest. »Das kann man wohl kaum als Provokation auffassen!« Seit dem Aufbruch von Nonancourt war das Heer des englischen Königs der Seine gefolgt, und hatte inzwischen ungefähr die Hälfte des Weges nach Vézelay zurückgelegt, von wo aus es sich gemeinsam mit den Franzosen zu dem Zug ins Heilige Land aufmachen würde. Die Laune seines Herrn erkennend, nickte Mortimer schweigend, trat auf ihn zu und nahm ihm mit geschickten Bewegungen den Brustpanzer ab.
Weitere Kostenlose Bücher