Schwerter-Zylus 01 - Schwerter gegen den Tod
wirklich freilassen würde, selbst wenn er ihm den Schädel brachte. Doch mit dem Schatz war der Mausling wenigstens in einer guten Ausgangsposition. Ohne ihn würde er Slevyas' Unterschlupf stürmen müssen – und da war heute jeder Dieb auf sein Kommen vorbereitet. Gestern abend hatten das Glück und die Umstände auf seiner Seite gekämpft. So würde es nicht wieder kommen. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, klagte er schrill über die steile Treppe und seine steifen Gelenke.
Das Mädchen führte ihn in ein Zimmer, das mit schweren Teppichen ausgelegt war und im Glanze von Seidentapeten erschimmerte. Von der Decke hing an schweren Metallketten eine Kupferlampe mit riesiger Schale, mit feingeritzten Ornamenten überzogen. Sie war noch nicht angezündet. Das weiche Licht und ein angenehm aromatischer Duft kamen von hellgrünen Kerzen auf kleinen Tischen, auf denen auch Parfümkrüge, kleine dickbauchige Flaschen mit Salben und dergleichen standen.
In der Mitte des Raumes wartete das rothaarige Mädchen, das er mit dem Schädel aus Krovas' Zimmer hatte fliehen sehen. Sie trug eine Seidenrobe. Ihr schimmerndes Haar war mit goldbeknopften Nadeln hochgesteckt. In aller Ruhe konnte er jetzt ihre Züge mustern und bemerkte die Härte ihrer gelbgrünen Augen und das verkrampfte Gesicht – Einzelheiten, die nicht zu ihren vollen weichen Lippen und der hellen cremigen Haut zu passen schienen. Die gespannte Haltung ihres Körpers verriet Besorgnis.
»Du liest die Zukunft, Frau?« Ihre Frage war mehr ein Befehl.
»Aus Haar und Hand«, bestätigte der Mausling und versuchte seinem zitternden Falsett einen drohenden Unterton zu geben. »Aus Handfläche, Herz und Auge.« Er zockelte auf sie zu. »Ja, und kleine Wesen sprechen mit mir und verraten mir ihre Geheimnisse.« Mit diesen Worten zog er plötzlich unter dem Umhang ein kleines schwarzes Kätzchen hervor und hielt es dem Mädchen vor das Gesicht. Die Rothaarige fuhr überrascht zurück und stieß einen Schreckenslaut aus, doch konnte er erkennen, daß diese Einzelheit seiner Vorstellung einen Anstrich von Echtheit gegeben hatte.
Ivlis winkte das Mädchen fort, und der Mausling beeilte sich, seinen Vorteil zu nutzen, ehe Ivlis' gegenwärtige Stimmung schwand. Er sprach von Verdammnis und Geschick, von bösen Omen und Vorzeichen, von Geld und Liebe und Reisen über Wasser. Er baute auf die abergläubischen Vorstellungen, die seines Wissens unter den Tanzmädchen Lankhmars kursierten. Er beeindruckte sie, indem er ›einen dunklen Mann mit schwarzem Bart, entweder vor kurzem gestorben oder an der Schwelle zum Tode‹ heraufbeschwor. Er verwebte Tatsache, Vermutungen und eindrucksvolle Gemeinplätze zu einem komplizierten Ganzen.
Die morbide Faszination eines Blicks in die verbotene Zukunft packte das Mädchen, und sie beugte sich vor, atmete hastiger, rang die Finger, biß sich auf die Unterlippe. Ihre hastig hingehauchten Fragen drehten sich zumeist um einen ›grausamen großen Mann‹, in dem der Mausling unschwer Slevyas wiedererkannte, und ob sie Lankhmar etwa verlassen sollte.
Der Mausling redete und redete und hielt nur inne, um seinen Vortrag noch realistischer zu gestalten, indem er hustete, keuchte oder kicherte. Zuweilen glaubte er fast selbst, eine Hexe zu sein und eine unheimliche Wahrheit zu verkünden.
Doch der Gedanke an Fafhrd und den Schädel ließ ihm keine Ruhe, und er wußte, daß Mitternacht nicht mehr fern war. Er erfuhr viel von Ivlis; vor allem, daß sie Slevyas mehr haßte als fürchtete. Doch die Information, die ihm am meisten am Herzen lag, blieb aus.
Dann erblickte der Mausling etwas, das ihn wieder belebte. Hinter Ivlis gab ein Vorhangspalt den Blick auf die Wand frei, und er bemerkte dort einen großen Stein, der nicht an Ort und Stelle zu liegen schien. Gleich darauf wurde ihm bewußt, daß der Stein die gleiche Größe und Form und Beschaffenheit hatte wie der Stein in Krovas' Zimmer. Es mußte sich hier also, so überlegte er optimistisch, um das andere Ende des Ganges handeln, durch den Ivlis entkommen war. Er beschloß, auf diesem Wege in das Diebeshaus einzudringen, ob er den Schädel nun an sich bringen konnte oder nicht.
Der Mausling wollte nun keine Zeit mehr verschwenden und griff nach einer List. Er hielt plötzlich inne, kniff dem Kätzchen in den Schwanz, um es zum Miauen zu bringen, schnüffelte mehrmals, verzog das Gesicht zu einer Maske des Schreckens und rief: »Knochen! Ich spüre die Knochen eines
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