Schwerter-Zylus 06 - Die Schwerter von Lankhmar
Geschäft nach – der dritten großen Zerstreuung nach Gebet und Wein.
Je weiter er sich vom Marschtor entfernte, desto reicher und besser versorgt waren die Götter in Lankhmar, deren Gebäude er passierte – Kirchen und Tempel, die zum Teil sogar silberne Säulen hatten und die von Priestern mit Goldketten und golddurchwirkten Roben bewacht wurden. Aus den offenen Türen drangen weiches gelbes Licht und der schwere Geruch von Weihrauch, und es ertönte der Singsang von Verwünschungen und Gebeten – die sich ausnahmslos gegen die Ratten richteten, wie der Mausling zu hören glaubte.
Und doch gab es Ratten auf der Straße der Götter. Winzige schwarze Köpfe spähten hier und dort von den Dächern; mehr als einmal sah er auch dicht zusammenstehende bernsteinrote Augen in den Schlitzen der Ablauflöcher im Rinnstein.
Aber nun hatte er genügend Wein und scharfe Getränke zu sich genommen, um solche Kleinigkeiten nicht mehr aufregend zu finden, trotz des eben ausgestandenen Schreckens. Er verlor sich etwas in seinen Erinnerungen.
Er wurde sich seiner Umgebung erst wieder bewußt, als er das Hlal-Ende der Straße erreichte, wo die Tempel goldene Türen haben, wo die Türme hoch in den Himmel wachsen und die Roben der Priester mit Juwelen besetzt sind. Um ihn drängte sich eine Menge, die kaum weniger kostbar gekleidet schien, und vor sich entdeckte er plötzlich unter einer grünen Samtkapuze das fröhlich-melancholische Gesicht von Frix, deren dunkle Augen auf ihn gerichtet waren. Etwas Hellbraunes flatterte aus ihrer Hand lautlos auf das Keramikpflaster. Dann wandte sie sich um und verschwand. Er eilte ihr nach, nahm das kleine zusammengedrückte Pergamentstück auf, das sie fallen gelassen hatte, doch zwei Aristos mit ihren Kurtisanen gerieten ihm in den Weg, und als er sich wieder frei gemacht hatte, wobei er sich sehr beherrschen mußte, um nicht ein Duell vom Zaum zu brechen, war keine grüne Samtrobe mehr zu sehen.
Er glättete das zerknitterte Pergament und studierte es im Schein einer tiefhängenden Straßenlampe.
Hab heldengleiche Geduld und Mut. Deine höchste Sehnsucht wird erfüllt, deine gewagtesten Hoffnungen werden übertroffen.
Hisvet
Er sah auf und bemerkte, daß er die letzten schimmernden Tempel der Götter in Lankhmar hinter sich gelassen hatte und nun vor dem dunklen flachen Gebäude der Götter von Lankhmar stand – jener braunknochigen uralten Gottheiten, denen die Lankhmarier niemals öffentlich huldigten, die sie jedoch vor allen anderen Göttern und Teufeln in Nehwon verehrten und anbeteten.
Die Erregung, die Hisvets Brief in ihm hervorgerufen hatte, verebbte, und der Mausling schritt weiter, bis er in der unbeleuchteten Straße vor dem dunklen Tempel stand. Seine vom Wein beflügelten Gedanken beschäftigten sich mit den Göttern von Lankhmar. Ihnen lag nicht an Priestern oder Reichtum oder Gläubigen. Sie waren mit ihrem alten Tempel zufrieden, solange sie nicht gestört wurden . In einer Welt, in der praktisch alle anderen Götter, einschließlich der Götter in Lankhmar, neue Gläubige, Reichtum und Aufmerksamkeit anstrebten, war diese Haltung ungewöhnlich und auch etwas unheimlich. Diese Götter traten nur in Erscheinung, wenn Lankhmar unmittelbar bedroht war – und auch dann nicht immer –, sie griffen ein und straften – nicht Lankhmars Feinde, sondern seine Bürger, und danach zogen sie sich ohne Umschweife wieder in ihren düsteren Tempel zurück.
Auf diesem Tempel und in den tiefen Schatten ringsum waren keine Ratten zu sehen.
Erschaudernd wandte sich der Mausling ab und erblickte auf der anderen Straßenseite, eingezwängt zwischen den Mauern der großen Kornlager und verschönt durch Glipkerios Regenbogenpalast, der dahinter aufragte, das schmale, dunkle Haus Hisvins, des Kornhändlers. In einem Fenster im oberen Stockwerk brannte Licht.
Die Sehnsucht, die Hisvets Zettel in ihm geweckt hatte, flammte wieder auf, und der Mausling war in Versuchung, zu dem Fenster hinaufzuklettern, doch dann besann er sich. Immerhin hatte ihn Hisvet um Geduld gebeten.
Achselzuckend seufzte er und wandte sich wieder der hellerleuchteten Straße der Götter zu, kaufte für sein restliches Geld bei einem juwelengeschmückten Sklavenmädchen eine kleine Kristallflasche mit einem seltenem weißen Brandy, trank einen Schluck von dem eisig brennenden Zeug und war nun so weit gekräftigt, daß er in die pechschwarze Nonnenstraße einbog, von wo er die Straße der Denker und die
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