Schwerter-Zylus 06 - Die Schwerter von Lankhmar
Wahl des Mittelweges ihm bringen würde.
Er hatte kaum Zeit zu der Erkenntnis, daß der Raum offenbar einem altbackenen Junggesellen gehörte, der gern las, als sich eine dicke alte Ratte durch den Vorhang in der gegenüberliegenden Wand schob. Sie trug eine fleckenlos weiße Schürze und dazu eine weiße Kappe auf dem Kopf. Mit den Vorderpfoten balancierte sie ein Silbertablett, auf dem dampfende Teller und ein großer dampfender Silberkrug standen.
Der Mausling deutete kurz auf den Tisch. Der Koch – denn wer konnte es sonst sein? – stellte das Tablett ab und kam zögernd auf den Mausling zu, als wollte er ihm aus dem Umhang helfen. Der Mausling winkte ihn fort und deutete entschlossen auf die Tür. Verdammt wollte er sein, wenn er in seinem eigenen Haus noch lispelte! Außerdem hatte die Dienerschaft vielleicht schärfere Ohren als die Kollegen. Der Koch verbeugte sich ungeschickt und verschwand.
Der Mausling ließ sich dankbar auf der Couch nieder und entschloß sich, Stiefel und Handschuhe noch nicht auszuziehen. Im Liegen war es auch mit den Fußschmerzen nicht so schlimm. Doch er setzte wenigstens die Maske ab und legte sie griffbereit neben sich; es war gut, wenn man seine Umwelt nicht nur durch Maskenschlitze anzublinzeln brauchte. Dann machte er sich über Grigs Abendessen her.
Der dampfende Krug enthielt Glühwein – sehr angenehm für seinen wunden Hals und seine angespannten Nerven. Er nahm Katzenklaue und die zweizinkige Gabel, die neben dem Teller lag, und verzehrte mit großem Appetit die kleinen Rindfleischkoteletts. Es war seltsam, das zarte Fleisch zu kauen, dessen Fasern so dick waren wie sein Finger.
Anschließend lehnte er sich gesättigt zurück, setzte die Maske wieder auf und machte sich daran, seine Rückkehr in das Obere Lankhmar zu planen. Aber die goldene Glocke lenkte ihn immer wieder von solchen praktischen Überlegungen ab, und er streckte schließlich die Hand aus und läutete sie. Gib der Neugier nach, ehe du dich darüber aufregen kannst, war eines seiner Mottos.
Kaum war das leise Geläute verhallt, als sich der schwere Vorhang in einer der Seitentüren teilte und eine schlanke Ratte erschien – eine weibliche Ratte. Sie trug Robe, Kapuze, Maske, Schuhe und Handschuhe – alles aus feiner zitronengelber Seide.
Das Wesen blieb auf der Schwelle stehen und sagte leise: »Lord Grig, Ihre Geliebte erwartet Sie.«
Die erste Reaktion des Mauslings bestand in einem selbstgefälligen Grinsen unter seiner Maske. Der alte Grig hatte also wirklich eine Geliebte, und seine aus dem Handgelenk geschüttelte Antwort auf Skwees ungläubige Frage stimmte! Ob groß wie ein Mensch oder klein wie eine Ratte – er schaffte jeden! Der Mausling stand auf und näherte sich der schlanken Gestalt, die ihm so ungeheuer vertraut vorkam. Er fragte sich, ob sie vielleicht die Ratte war, die er vorhin mit einer Maus an der Leine im Korridor gesehen hatte.
Er wandte die gleiche Methode an wie vorhin beim Koch und bedeutete ihr stumm, ihm den Weg zu zeigen. Sie nickte, und er folgte ihr durch einen gewundenen Korridor.
Und sehr attraktiv ist sie, überlegte er, als er ihre schlanken Umrisse musterte.
Fast zu spät fiel ihm ein, daß sie ja eine Ratte war und ihn daher eher mit Widerwillen erfüllen mußte. Aber mußte sie unbedingt eine Ratte sein? Er hatte einen Größenwechsel durchgemacht, warum sollte das anderen nicht auch möglich sein? Und wenn dieses Geschöpf nur die Bedienstete war, wie mußte dann erst die Herrin aussehen? Bestimmt ist sie dick oder hager und behaart, dachte er zynisch. Doch seine Spannung nahm zu.
Er verhielt einen Augenblick, um sich zu orientieren, und stellte fest, daß die Seitentür, durch die sie seine Wohnung verlassen hatten, in die Richtung führte, in der Lord Nills Räume lagen.
Endlich teilte die gelbgekleidete Zofe einen golddurchwirkten schwarzen Vorhang, danach einen zweiten hellvioletten Seidenvorhang. Der Mausling ging an der Ratte vorbei und fand sich in einem großen Schlafzimmer, das herrlich und geschmackvoll eingerichtet war – zugleich war es das verrückteste, unheimlichste Schlafgemach, das er je gesehen hatte.
Der Raum war an den Wänden, auf dem Fußboden, an der Decke und auf allen Polstern in den Farben Silber und Violett gehalten – wobei das Violett eine herrliche Komplementärfarbe zu der gelben Kleidung des kleinen Zimmermädchens bildete. Einige schmale, tiefe Wandtanks voller aalgroßer Glühwürmer sorgten für die indirekte
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