Schwerter-Zylus 08 - Ritter und Knappe des Schwerts
sann der Mausling, die wundersame Freiheit der Zunge in der Mundhöhle! Gleichgültig wie eingeengt der Körper war. Die Leute wußten das nicht genug zu schätzen.)
Die ganze Zeit über sog er in winzigen Zügen kalte, kostbare, lebensspendende Luft ein, die zwischen den Teilchen der festen Erde lagerte, und ließ dabei nicht mehr Erdkörnchen in seinen Mund hinein, als er ohne Schwierigkeiten schlucken konnte. Nun, überlegte er, vielleicht würde er sich schließlich auf diese Weise durchs Erdreich fortbewegen, am vorderen Ende Erde aufnehmen und vielleicht – wer weiß? – ihr Nährstoffe entziehen und sie in einer Kotspur hinter sich ausstoßen.
Doch dann verlangte der Klumpen in seinem Hals von neuem seine Aufmerksamkeit. So atmete er die eben geholte Luft aus (es bedurfte dazu beträchtlicher Zeit, denn da war Widerstand) und sog dann langsam (vergiß nicht, immer ganz langsam! sagte er sich) einen zweiten Atemzug ein.
Nach mehreren Wiederholungen dieses Vorgangs gelangte er zu der Gewißheit, daß er, wenn er fleißig arbeitete, keine Zeit verlor, aber sich auch nie dazu verleiten ließ, die Dinge zu überstürzen, den Klumpen in seiner Kehle (und den Drang, wild nach Luft zu schnappen) auf ein erträgliches Maß beschränken konnte.
So erhielt verständlicherweise alles, was nicht unmittelbar mit dem Atmen zusammenhing, für den Mausling zunächst einmal nur sekundäre Bedeutung – nein, tertiäre!
Wenn es ihm gelang, den Vorgang lange genug durchzuhalten, sagte er sich, würde er sich schließlich daran gewöhnen, und dann wäre sein Kopf wieder frei, um über andere Dinge nachzudenken oder zumindest über andere Aspekte seiner gegenwärtigen Notlage.
Eine Frage, die sich dann stellen würde, war: Würde ihm, wenn es soweit war, überhaupt etwas an solchen Gedanken liegen? Würden solche Überlegungen ihm Trost gewähren oder Gewinn bringen?
Als der Mausling bald tatsächlich fähig wurde, seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden, bemerkte er einen schwach rötlichen Schimmer hinter seinen Augenlidern. Ein paar Atemzüge später sagte er sich, daß das unmöglich war, denn dafür bedurfte es des Sonnenlichts, und hier hatte er noch nicht einmal Mondlicht. (Bei diesem Gedanken hätte er sich einen kleinen Schluchzer gestattet, wäre nicht unter seinen gegenwärtigen Umständen selbst die leichteste Unregelmäßigkeit des Atems einfach undenkbar gewesen.)
Doch ist die Neugier erst einmal geweckt, bleibt sie bestehen (»... selbst bis zum Grabe«, sagte er sich, als schmiede er Sätze eines Rührstücks), und nach ein paar weiteren Atemzügen öffnete er die Lider zu winzigen, von seinen Wimpern beschirmten Schlitzen.
Nichts drang überfallartig in seine Augen, nicht das kleinste Sandkorn, und tatsächlich war da gelbes Licht.
Nach einer Weile öffnete er die Lider noch ein wenig weiter, wobei er seinen Atemrhythmus treulich aufrecht erhielt, und betrachtete die kleine Szene.
Nach der Art zu schließen, wie sein Sichtfeld von strahlendem Gelb umrahmt war, schien das Licht von seinem eigenen Gesicht zu stammen. Er erinnerte sich an den sonderbaren Traum oder nächtlichen Vorfall, von dem Cif ihm erzählt hatte, wo sie ihn mit einer phosphoreszierenden Halbmaske gesehen hatte, mit schwarzen Ovalen an Stelle der Augen. Vielleicht hatte sie tatsächlich die Zukunft vorhergesehen, denn genau solch eine Maske schien er jetzt zu tragen.
Und folgendes wurde vom Licht enthüllt: Er befand sich gegenüber einer braunen Wand, so nahe, daß er sie nur verschwommen erkennen konnte, doch so weit entfernt, daß seine nackten Augen nicht berührt wurden.
Anscheinend entwickelte er jedoch eine zunehmende Fähigkeit, in die Wand hineinzusehen, und bald traten etwa eine Fingerlänge hinter der verschwommenen vordersten Schicht einzelne Erdkörnchen scharf hervor, als hätte sich irgendeine geheime Sichtmächtigkeit mit seiner natürlichen Sehkraft vermischt, hätte sich mit ihr verbunden und sie erweitert.
Wie auch immer es dazu kommen mochte, er sah einen schwarzen Kiesel etwa eine Handspanne von ihm entfernt in der Erde stecken, daneben einen daumengroßen dunkelgrünen Kiesel und daneben wieder das geringelte, ausdruckslose rötliche Gesicht eines Erdwurms mit einem kleinen runden Freßmaul in der Mitte, das genau auf ihn zeigte, weshalb die Ringsegmente des Wurms aus dieser Sicht fast miteinander zu verschmelzen schienen.
Und dann geriet zum ersten Mal eine Spur der Halluzination oder reinen Phantasie
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