Schwerter-Zylus 08 - Ritter und Knappe des Schwerts
Dummkopf, sagte er sich – denk ans Atmen!) Die alten Legenden berichteten, der Tod habe eine magere Schwester namens Schmerz, deren Leidenschaft die gräßliche Tortur sei, die oft den Auftakt zum Auftritt des Todes bilde.
Aber das hier war nur eine Statue, machte er sich noch einmal verzweifelt klar.
Ihre Lippen öffneten sich, und geschmeidig leckte ihre blaue Zunge darüber.
Die Augen öffneten sich, und sie richtete den rotglühenden Blick starr auf ihn.
Sie lächelte.
Plötzlich wußte er, wo er diesen weißlich schillernden Teint schon einmal gesehen hatte. Im Schattenland! Auf dem schlanken Gesicht, dem Hals und den Händen des Todes selbst, den er dort zweimal erblickt hatte. Und sowohl das Gesicht als auch der schlanke Körperbau ähnelte dem Tod.
Dann spitzte sie die Lippen, und durch all das Erdreich, in dem sie beide begraben waren, hindurch, hörte er den trillernden, leise verführerischen Pfiff, mit dem ein lankhmarisches Straßenmädchen einen Kunden einlädt. Er spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten, während ihn gleichzeitig ein eiskalter Schauer überlief.
Und darauf streckte zu seinem großen Entsetzen dieses Ghul-Straßenmädchen, die Schwester des Todes, scheinbar mühelos beide schimmernde, schmale Hände nach ihm aus, die blauen Handflächen einladend nach oben gekehrt und die schillernden Finger in wellenförmig bebender Bewegung, bis sie eben diese Finger und Hände zusammenlegte und mittels abwechselnden Ausstoßens mit dem linken und rechten Fuß langsam auf ihn zuschwamm – durch das sie beide von allen Seiten umschließende, feste Erdreich hindurch, als setze es ihrem blauschattigen, splitterfasernackten Körper nicht mehr Widerstand entgegen als seiner geheimnisvollen Sehfähigkeit.
Trotz aller guten Vorsätze, panikartige Überanstrengung in seiner jetzigen Lage zu vermeiden, stemmte er sich unter Aufbietung aller Kräfte nach hinten, weg von der Erdschwimmerin, in einem krampfhaften Bemühen, das ihm das Herz zu sprengen drohte. Dann, gerade als seine Anstrengung ihren quälenden Gipfel erreicht hatte und er davon abließ, spürte er eine Leere hinter sich und stürzte sich hinein – wobei sofort die entgegengesetzte Angst in ihm aufwallte: daß er endlos in eine bodenlose Tiefe fallen könnte.
Letztere Furcht hätte er sich sparen können. Kaum war er einen knappen halben Meter zurückgewichen, nicht mehr als einen kleinen Schritt, da fühlte er sich schon wieder von Kopf bis Fuß von kalter, körniger Erde umschlossen.
Doch nun gab es eine leere Stelle vor ihm, den Raum, aus dem er gerade Rumpf, Kopf und das eine Bein gezogen hatte. Und er hatte Zeit, einen tiefen, glorreichen Atemzug zu tun – der zwanzig seiner vorsichtigen Luftholbewegungen aufwog – und sein zweites Bein zurückzuziehen, bevor die Erde vor ihm ihn wieder einholte und ihm brutal ins Gesicht schlug in ihrem Eifer, sich als feste Form um seinen Körper zu schließen, als besäße die Materie oder besäßen ihre Götter und Göttinnen genau jenen Horror vacui, den einige Philosophen ihr, oder ihnen, zuschreiben.
Doch war weder seine Verblüffung über diese völlig unerwarteten Wendungen, noch seine Verwunderung über die dazu passenden Naturgesetze oder Wunder so groß, daß er – trotz des ungeheuerlichen Atemzuges – seine Übung langsamen, flachen Atmens durch kaum geöffnete Lippen vernachlässigte, ebensowenig wie das wachsame Spähen nach vorne durch gleichfalls fast geschlossene Augenlider.
Letzteres enthüllte, daß ihm seine gefährliche, schlanke Verfolgerin fast eine Körperlänge dichter auf den Leib gerückt war, und daß sie durch ihre kraftvollen Schwimmbewegungen beinahe gänzlich von der Vertikalen in die Horizontale übergegangen war, so daß sie ihn nun Kopf voran verfolgte und er ihr voller Entsetzen in die gierigen, rotglühenden Augen blickte.
Dieser Eindruck einer mordgierigen Wölfin war so entsetzlich, daß er ihn zu einer weiteren, sein Inneres fast zerreißenden Anstrengung veranlaßte, an deren Gipfel die erneute Hoffnung stand, daß das sonderbare Wunder von eben sich wiederholen möchte. Und fast zu seiner Überraschung war dem auch so: Die schwindelerregende Leere hinter ihm, das sich Zurückwerfen um einen Schritt, die Leere vor ihm, der glorreich tiefe Atemzug, der stechende Anprall gegen seine ganze Körperfront, am massivsten aber gegen sein nacktes Gesicht, stammte von der kalten, körnigen Erde, die ihn wütend wieder in ihren völligen Besitz
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