Schwertgesang
spalten, zurechtsägen und zusammenfügen. Und wenn ich Recht sprach, tat ich es gut, denn mein Vater, der Herr von Bebbanburg gewesen war, hatte mich gelehrt, dass ein Herr dem Volk verpflichtet ist, das er regiert, und dass die Leute einem Herrn viele Verfehlungen nachsehen, wenn er sie beschützt. Also hörte ich mir jeden Tag ihre Kümmernisse an, und etwa zwei Wochen nach Alfreds Besuch ist mir ein Morgen im Gedächtnis, an dem es heftig regnete und bei meinem Erscheinen rund zwei Dutzend Leute im Schlamm vor meinem Palas niederknieten. Ich erinnere mich heute nicht mehr an alle Eingaben, aber zweifellos waren es die üblichen Beschwerden über versetzte Grenzsteine oder einen Brautpreis, der nicht entrichtet worden war. Ich traf meine Beschlüsse rasch und richtete mein Urteil nach dem Gebaren der Bittsteller. Gewöhnlich ging ich davon aus, dass ein herausfordernder Bittsteller log, während ein weinerlicher mein Erbarmen hervorlockte. Ich bezweifle, dass ich jedes Mal die richtige Entscheidung getroffen habe, aber die Leute gaben sich zufrieden mit meinen Urteilssprüchen, und sie wussten, dass ich mich nicht von den Reichen bestechen ließ, um sie zu begünstigen.
Doch an einen Bittsteller dieses Morgens erinnere ich mich. Er war allein gekommen, und das war ungewöhnlich, denn die meisten Leute kamen mit Freunden oder Verwandten, die beschwören konnten, dass es mit ihrer Beschwerde seine Richtigkeit hatte. Doch dieser Mann war allein gekommen und ließ anderen immerzu den Vortritt. Ganz offensichtlich wollte er der Letzte sein, der mit mir sprach, und ich argwöhnte, dass er viel von meiner Zeit in Anspruch nehmen wollte und war versucht, die Sitzung dieses Vormittages zu beenden, ohne ihn anzuhören, aber am Ende gab ich ihm doch das Wort, und er fasste sich dankenswert kurz. »Bjorn hat die Ruhe meines Landes gestört, Herr«, sagte er. Er kniete, und alles, was ich von ihm sah, war sein zerzaustes und dreckverklumptes Haar. Einen Augenblick lang erkannte ich den Namen nicht wieder. »Bjorn?«, fragte ich. »Wer ist Bjorn?«
»Der Mann, der die Ruhe meines Landes stört, Herr, in der Nacht.« »Ein Däne?«, fragte ich verwirrt. »Er kommt aus seinem Grab, Herr«, sagte der Mann, und da verstand ich und brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen, sodass der Geistliche, der meine Urteile mitschrieb, nicht zu viel hörte. Ich hob das Kinn des Bittstellers an und blickte in ein hageres Gesicht. Seiner Aussprache nach hielt ich ihn für einen Sachsen, aber vielleicht war er auch ein Däne, der unsere Sprache fehlerlos beherrschte, und so sprach ich ihn auf Dänisch an. »Woher bist du gekommen?«, fragte ich. »Von dem Land, dessen Ruhe gestört ist, Herr«, antwortete er auf Dänisch, doch die Art, in der er die Wörter verstümmelte, machte klar, dass er kein Däne sein konnte.
»Jenseits der Straße?« Ich sprach wieder Englisch. »Ja, Herr.«
»Und wann stört Bjorn die Ruhe deines Landes erneut?«
»Übermorgen, Herr. Er kommt nach dem Mondaufgang.«
» Bist du geschickt worden, um mich zu führen?« »Ja, Herr.«
Am nächsten Tag ritten wir los. Gisela wollte mitkommen, aber ich erlaubte es ihr nicht, denn ich vertraute dieser Einladung nicht vollständig, und aufgrund meines Misstrauens ritt ich mit sechs Männern, Finan, Clapa, Sihtric, Rypere, Eadric und Cenwulf. Die letzten drei waren Sachsen, Clapa und Sihtric waren Dänen und Finan war der hitzköpfige Ire, der meine Haustruppe befehligte, und alle sechs waren meine Schwurmänner. Mein Leben war ihres, ebenso wie ihr Leben meines war. Gisela blieb hinter den Burgwällen von Coccham, ihre Sicherheit wurde vom Fyrd und den anderen Mitgliedern meiner Haustruppe gewährleistet. Wir ritten in Kettenhemden und wir trugen Waffen. Wir wandten uns zuerst Richtung Nordwesten, denn die Schneeschmelze hatte die Temes so anschwellen lassen, dass wir ein gutes Stück stromauf reiten mussten, bis wir eine Furt entdeckten, die seicht genug war, um den Fluss zu durchqueren. Die Stelle lag bei Welengaford, einer anderen Burg, und ich bemerkte, dass die Erdwälle nicht fertiggestellt waren und dass die Balken für die Palisaden unbehauen im Schlamm verrotteten. Der Befehlshaber der Garnison, er hieß Oslac, wollte wissen, weshalb wir über den Fluss gingen, und es war sein Recht, danach zu fragen, denn er sicherte diesen Abschnitt der Grenze zwischen Wessex und dem gesetzlosen Mercien. Ich sagte, ein Häftling sei aus Coccham geflohen und würde sich
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