Schwertgesang
nicht geben. »Morgen«, wiederholte Haesten, »machen wir uns auf den Weg nach Lundene.« Am nächsten Tag ritten wir los. Ich führte meine sechs Leute an, während Haesten einundzwanzig Männer mitgenommen hatte, und wir folgten der Waeclingastrat unter anhaltendem Regen, der die Straßenränder in tiefe Schlammfurchen verwandelte, nach Süden. Die Pferde quälten sich, wir quälten uns. Auf dem Ritt bemühte ich mich, mir jedes Wort ins Gedächtnis zu rufen, das Bjorn der Tote zu mir gesagt hatte, denn ich wusste, dass Gisela mich nach jeder winzigen Einzelheit dieses Gespräches fragen würde.
»Und?«, wollte Finan bald nach der Mittagsstunde wissen. Haesten war etwas vorausgeritten, und Finan hatte sein Pferd angetrieben, um an meiner Seite zu reiten.
»Und?«, fragte ich zurück.
»Wirst du König von Mercien werden?«
»Die Parzen sagen es«, antwortete ich und vermied seinen Blick. Finan und ich hatten zusammen Sklavendienste auf einem Händlerschiff geleistet.
Wir hatten gelitten, gefroren, durchgehalten und gelernt, uns wie Brüder zu lieben, und seine Ansichten bedeuteten mir viel.
»Die Parzen«, sagte Finan, »sind Betrügerinnen.«
»Ist das eine Uberzeugung der Christen?«
Er lächelte. Er hatte sich die Kapuze seines Umhangs über den Helm gezogen, sodass ich kaum etwas von seinen hageren, wilden Gesichtszügen sehen konnte, aber ich sah seine Zähne aufblitzen, als er lächelte. »Ich war in Irland ein bedeutender Mann«, sagte er. »Meine Pferde waren schneller als der Wind, meine Frauen stellten die Sonne in den Schatten, und meine Waffen konnten es mit der ganzen Welt aufnehmen, aber dennoch haben mich die Parzen verdammt.«
»Du lebst noch«, sagte ich, »und du bist ein freier Mann.«
»Ich bin dein Schwurmann«, sagte er, »und ich habe dir meinen Schwur freiwillig geleistet. Und du, Herr, bist Alfreds Schwurmann.« »Ja«, sagte ich.
»Wurdest du dazu gezwungen, Alfred deinen Schwur zu leisten?«, fragte Finan. »Nein«, gestand ich ihm zu. Die Regentropfen trafen wie winzige Schläge auf mein Gesicht. Die Wolken trieben niedrig dahin, über dem Land hing Düsternis. »Wenn das Schicksal unausweichlich ist«, sprach Finan weiter, »warum legen wir dann überhaupt Schwüre ab?« Ich ging nicht auf seine Frage ein. »Wenn ich meinen Schwur auf Alfred breche«, sagte ich stattdessen, »wirst du dann auch deinen Schwur auf mich brechen?«
»Nein, Herr«, sagte er und lächelte erneut. »Ich würde nämlich deine Gesellschaft vermissen. Aber dir würde Alfred nicht fehlen.« »Nein«, gab ich zu, und dann ließen wir das Gespräch verebben, obwohl mich Finans Worte beunruhigten und mir nicht aus dem Kopf gingen. Wir verbrachten die Nacht in der Nähe des Heiligen Grabes von Sankt Alban. Die Römer hatten dort eine Stadt gegründet, doch diese Stadt verfiel inzwischen, und deshalb kehrten wir etwas östlich davon in einem dänischen Hausstand ein. Unser Gastgeber hieß uns herzlich genug willkommen, doch im Gespräch blieb er vorsichtig. Er hatte gehört, dass Sigefrid den alten Teil Lundenes mit Bewaffneten besetzt hatte, doch weder verurteilte noch pries er diese Tat. Genau wie ich trug er ein Hammeramulett, doch er hielt sich auch einen sächsischen Priester, der über unserem Mahl aus Brot, Schinken und Bohnen seine Gebete sprach. Der Priester machte erkenntlich, dass sich dieser Palas in Ostanglien befand und dass Ostanglien dem Gesetz nach christlich war und in Frieden mit seinen christlichen Nachbarn lebte, aber unser Gastgeber achtete dennoch darauf, dass ein Querbalken das Tor seiner Palisade sicherte und bewaffnete Männer in der feuchten Nacht Wache hielten. Eine merkwürdige Ruhe lag über diesem Land, es war ein Gefühl, als ob jederzeit ein Sturm losbrechen könnte.
In der Nacht ließen Wind und Regen nach. Wir brachen in der Dämmerung auf und ritten durch eine frostige, schweigende Welt, wenn es auch auf der Waeclingastrat bald merklich lebhafter wurde, weil Männer ihre Rinder zum Markt nach Lundene trieben. Die Tiere waren mager, doch sie waren von der Herbstschlachtung ausgenommen worden, damit sie die Stadtbevölkerung im Winter ernähren konnten. Wir ritten an ihnen vorbei, und die Viehtreiber fielen auf die Knie, als so viele Männer waffenklirrend an ihnen vorüberzogen. Im Osten lockerten die Wolken auf, sodass, als wir um die Mittagszeit Lundene vor uns hatten, die Sonne strahlend hinter der dicken Wolke aus schwarzem Rauch stand, die ständig über der Stadt
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