Schwertgesang
hängt. Mir hat Lundene immer gefallen. Es ist ein Ort der Ruinen, des Handels und der Verruchtheit, der sich am Nordufer der Temes erstreckt. Die Ruinen waren einst Römerbauten, die übrig geblieben waren, als die Römer Britannien aufgaben. Ihre alte Stadt krönte die Hügel am östlichen Ende Lundenes und war von einer Verteidigungsmauer aus gebrannten Ziegeln und Steinen umgeben. Die Sachsen hatten die Bauten der Römer nie gemocht, weil sie die Geister der früheren Bewohner fürchteten, und deshalb hatten sie westlich davon ihre eigene Stadt errichtet. Sie bestand aus Stroh und Holz und Flechtwerk und engen Gassen und stinkenden Gräben, die das Abwasser in den Fluss leiten sollten, doch gewöhnlich nur voll feuchtem Unrat lagen, bis ein starker Regenschauer sie überflutete. In dieser neuen sächsischen Stadt ging es höchst betriebsam zu. Beißender Rauch von den Schmiedefeuern lag in den Straßen, die von den heiseren Rufen der Händler widerhallten. Es ging hier sogar so betriebsam zu, dass sich niemand darum kümmerte, einen Verteidigungswall anzulegen. Wozu brauchten sie einen Wall, brachten die Sachsen vor, wenn es die Dänen zufrieden waren, in der alten Stadt zu wohnen, und keinerlei Verlangen gezeigt hatten, die Bewohner der neuen Stadt abzuschlachten? Zwar gab es an wenigen Stellen Palisaden ein Beweis dafür, dass doch ein paar Männer versucht hatten, der schnell wachsenden neuen Stadt einen Schutz zu verschaffen , doch die Begeisterung hatte nie lange angehalten. Die Holzbalken der Palisaden verrotteten oder fehlten, weil sie gestohlen worden waren, um damit neue Gebäude entlang der stinkenden Gassen zu errichten. Lundenes Handel lebte vom Fluss und den großen Straßen, die in jeden Teil Britanniens führten. Die Straßen waren natürlich römisch, und über sie floss ein Warenstrom aus Wolle und Töpferwaren, Metallbarren und Fellen, während die Temes edle Güter aus fernen Ländern und Sklaven aus dem Frankenland und streitsüchtige Männer herantrug. Und Streit gab es hier mehr als genug, denn die Stadt war dort errichtet worden, wo drei Königreiche aneinandergrenzten, und sie war in diesen Jahren ohne Regierung. Im Osten Lundenes lag Ostanglien, über das Guthrum herrschte. Im Süden, am anderen Ufer der Temes, lag Wessex, während sich im Westen Mercien erstreckte, zu dessen Gebiet die Stadt gehörte. Doch Mercien war wie verkrüppelt, weil ihm ein König fehlte, und so fehlte auch ein Vogt, der die Ordnung in Lundene aufrechterhielt, und es fehlte ein mächtiger Herr, der das Recht durchsetzte. Männer gingen bewaffnet durch die Straßen, Frauen hatten Beschützer bei sich, und große Hunde waren an den Haustoren angekettet. Jeden Morgen wurden Leichen gefunden, falls die Flut sie nicht flussabwärts zum Meer und an der Küste vorbeigetragen hatte, an der die Dänen ihr großes Lager bei Beamfleot aufgeschlagen hatten. Von dort aus segelten die Schiffe der Nordmänner los, um von den Handelsschiffen, die durch die weite Mündung der Temes herauffuhren, Zölle zu erheben. Die Nordmänner hatten kein Recht, solche Abgaben zu fordern, aber sie hatten ihre Schiffe und Männer und Schwerter und Äxte, und damit machten sie ihre fehlenden Rechte mehr als wett. Haesten hatte schon oft solche unberechtigten Abgaben eingetrieben, er war sogar reich geworden bei dieser Seeräuberei, reich und mächtig, aber er war dennoch unruhig, als wir in die Stadt einritten. Während wir an Lundene herangekommen waren, hatte er unaufhörlich geredet, meist über Belanglosigkeiten, und zu schnell gelacht, wenn ich säuerliche Bemerkungen über seine dummen Worte machte. Doch dann, als wir zwischen den halb verfallenen Türmen beiderseits eines großen Stadttors hindurchritten, wurde er still. Es standen Wachen an dem Tor, aber sie mussten Haesten erkannt haben, denn sie riefen uns nicht an, sondern zogen nur die Hürden weg, mit denen sie den bröckelnden Torbogen versperrt hatten. In dem Tordurchgang lag ein Stapel Balken, was bedeutete, dass sie das Tor erneuern würden. Wir waren in der römischen Stadt angekommen, der alten Stadt, und unsere Pferde gingen im Schritt eine Straße entlang, die mit großen Steinplatten ausgelegt war, zwischen denen das Unkraut wucherte. Es war kalt. Noch immer lag Reif in schattigen Ecken, die bisher kein Sonnenstrahl erreicht hatte. Durch die geschlossenen Fensterläden der Häuser trieb der Rauch von Holzfeuern und wirbelte die Straße hinab. »Wart Ihr schon einmal hier?«
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