Schwertgesang
vielleicht lieber morgen?« »Der König ist ein vielbeschäftigter Mann, Uhtred! Er kann sich nicht nach deiner Bequemlichkeit einrichten!«
»Dann muss er eben mit mir sprechen, wenn ich betrunken bin.«
»Und ich mache dich darauf aufmerksam, dass er wissen will, wie schnell du Lundene einnehmen kannst. Deshalb wünscht er dich zu sprechen.« Unvermittelt unterbrach er sich, denn Gisela und Thyra kamen auf uns zu, und Beoccas Antlitz verwandelte sich vor lauter Glück. Er starrte Thyra an wie ein Mann, der eine Erscheinung vor sich hat, und als sie ihn anlächelte, glaubte ich, ihm würde vor Stolz und Hingabe gleich das Herz stehen bleiben. »Frierst du auch nicht, meine Liebe?«, erkundigte er sich fürsorglich. »Ich kann dir einen Umhang holen.«
»Ich friere nicht.«
»Deinen blauen Umhang?«
»Mir ist warm genug, mein Lieber«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Es würde mir keine Umstände machen!«, sagte Beocca.
»Ich friere nicht, Liebster«, sagte Thyra, und wieder sah Beocca aus, als würde er gleich sterben vor lauter Glück.
Sein ganzes Leben lang hatte Beocca von Frauen geträumt. Von blonden Frauen. Von Frauen, die ihn heiraten und ihm Kinder schenken würden, und sein ganzes Leben lang hatte ihm seine missgestaltete Erscheinung nur Hohn eingebracht, bis er, auf einem blutdurchtränkten Hügel, Thyra begegnet war und die Dämonen aus ihrer Seele verbannt hatte. Sie waren nun seit vier Jahren verheiratet. Schon ein Blick genügte, um sicher zu sein, dass kein anderes Paar jemals weniger zueinandergepasst hatte. Ein alter, hässlicher, haarspalterischer Priester und eine junge Dänin mit goldfarbenem Haar, doch wer in ihre Nähe kam, spürte sofort ihr Glück wie die Wärme eines großen Feuers in einer dunklen Winternacht. »Du solltest nicht so lange stehen, meine Liebe«, erklärte er ihr. »Nicht in deinem Zustand. Ich werde dir einen Schemel holen.«
»Ich werde mich ohnehin bald hinsetzen, Liebster.« »Einen Schemel, denke ich, oder einen Stuhl. Und bist du sicher, dass du keinen Umhang brauchst? Es würde mir wirklich keine Umstände machen, dir einen zu bringen.«
Gisela sah mich an und lächelte, aber Beocca und Thyra hatten uns über all ihr Aufhebens umeinander längst vergessen. Dann machte Gisela eine fast unmerkliche Kopfbewegung, und als ich in die angezeigte Richtung blickte, sah ich einen jungen Mönch in unserer Nähe stehen, der mich unverwandt anstarrte. Offenkundig versuchte er schon länger, meinen Blick aufzufangen, und genauso offenkundig war er sehr aufgeregt. Er war mager, nicht sehr groß, braunhaarig und hatte ein bleiches Gesicht, das bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit Alfreds Zügen aufwies. Das gleiche verhärmte und angespannte Aussehen, die gleichen ernsten Augen und der gleiche schmale Mund, und der Mönchskutte nach zu schließen, zweifellos auch die gleiche Frömmigkeit. Er war Novize, denn er trug noch keine Tonsur, und er fiel auf ein Knie, als ich ihn ansah. »Herr Uhtred«, sagte er bescheiden.
»Osferth!«, sagte Beocca, als er der Anwesenheit des jungen Mönchs gewahr wurde. »Du solltest dich schon längst wieder deinen Studien widmen! Die Hochzeitszeremonie ist vorbei, und Novizen sind nicht zum Festmahl geladen.« Doch Osferth beachtete Beocca nicht. Stattdessen sagte er mit bescheiden gesenktem Kopf zu mir: »Ihr kanntet meinen Onkel, Herr.« »Wirklich?«, fragte ich misstrauisch. »Ich habe viele Männer gekannt«, fügte ich hinzu, um ihn auf die Ablehnung vorzubereiten, mit der ich sicher war, auf alles zu reagieren, was er von mir erbitten mochte.
»Leofric, Herr.«
Und schon die Erwähnung dieses Namens löste all mein Misstrauen und meine Feindseligkeit auf. Leofric. Ich lächelte sogar. »Ich habe ihn gekannt«, sagte ich freundlich, »und ich habe ihn geliebt.« Leofric war ein überaus starker westsächsischer Krieger gewesen, und er hatte mich den Krieg gelehrt. Earsling hatte er mich genannt und damit etwas gemeint, was aus einem Hintern gefallen war, und er hatte mich gestählt, mich gequält, mich angebrüllt, mich geschlagen und war mein Freund geworden und bis zu jenem Tag mein Freund geblieben, an dem er auf dem regendurchtränkten Schlachtfeld bei Ethandun gestorben war. »Meine Mutter ist seine Schwester, Herr«, sagte Osferth.
»An deine Studien, junger Mann!«, sagte Beocca streng.
Ich legte eine Hand auf Beoccas lahmen Arm, um ihn zurückzuhalten. »Wie heißt deine Mutter?«, fragte ich Osferth.
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