Schwertgesang
»Ædgyth, Herr.«
Ich beugte mich hinab und hob Osferths Kinn an, damit ich ihm ins Gesicht sehen konnte. Kein Wunder, dass er aussah wie Alfred, denn dies war Alfreds Bastard, den er einer jungen Dienerin im Palas angehängt hatte. Niemand würde jemals zugeben, dass Alfred der Vater dieses Jungen war, doch es war ein offenes Geheimnis. Bevor Alfred Gott gefunden hatte, hatte er mit den Dienerinnen im Palas höchst irdische Freuden entdeckt, und Osferth war das Ergebnis dieses jugendlichen Uberschwangs. »Lebt Eadgyth noch?«, fragte ich ihn.
»Nein, Herr. Sie ist vor zwei Jahren am Fieber gestorben.«
»Und was tust du hier, in Wintanceaster?« »Er bereitet sich mit seinen Studien auf den Dienst an der Kirche vor«, sagte Beocca barsch, »denn seine Berufung ist es, Mönch zu werden.« »Ich möchte Euch dienen, Herr«, sagte Osferth unsicher und starrte mir ins Gesicht. »Geh!« Beocca versuchte den jungen Mann wegzuschieben. »Geh! Geh weg! Zurück ans Lernen, oder soll ich dich vom Novizenmeister auspeitschen lassen?«
»Hast du schon einmal ein Schwert in der Hand gehabt?«, fragte ich Osferth. »Ich habe das Schwert, Herr, das mir mein Onkel gegeben hat.«
»Aber gekämpft hast du noch nicht damit?« »Nein, Herr«, sagte er und sah mich weiter unsicher und verschreckt an, mit diesem Gesicht, das aussah wie das Gesicht seines Vaters. »Wir studieren das Leben des heiligen Cedd«, sagte Beocca zu Osferth, »und ich erwarte von dir, dass du die ersten zehn Seiten bis zum Sonnenuntergang abgeschrieben hast.«
»Möchtest du denn Mönch werden?«, fragte ich Osferth.
»Nein, Herr.«
»Und was sonst?«, fragte ich und achtete gar nicht auf Beocca, der vor Widerspruch schäumte, aber unfähig war, hinter meinem Schwertarm vorzukommen, mit dem ich ihn zurückhielt. »Ich möchte in die Fußstapfen meines Onkels treten, Herr«, sagte Osferth. Fast hätte ich gelacht. Leofric war einer der stärksten Kämpfer gewesen, die jemals gelebt hatten und gestorben waren, während Osferth nichts war als ein kümmerlicher, bleicher Jüngling. Doch es gelang mir, eine ernste Miene zu bewahren. »Finan!«, rief ich. Der Ire tauchte an meiner Seite auf. »Herr?« »Dieser junge Mann tritt in meine Haustruppe ein«, sagte ich und gab Finan ein paar Münzen. »Du kannst nicht ...«, begann Beocca aufzubegehren, doch dann verstummte er, weil sowohl Finan als auch ich ihn mit finsterer Miene anstarrten.
»Nimm Osferth mit«, sagte ich zu Finan, »besorge ihm Männerkleidung und Waffen.« Zweiflerisch ließ Finan seinen Blick auf Osferth ruhen. »Waffen?«
»Er hat Kriegerblut in den Adern«, sagte ich, »also werden wir ihm das Kämpfen beibringen.« »Ja, Herr«, sagte Finan, und ich hörte seiner Stimme an, dass er mich für nicht ganz gescheit hielt, aber dann sah er sich die Münzen an, die ich ihm gegeben hatte, und erkannte, dass er einen schönen Gewinn für sich herausschlagen konnte. Er grinste. »Wir machen schon noch einen Krieger aus ihm, Herr«, sagte er und glaubte bestimmt, dass er log. Dann führte er Osferth weg. Beocca ging um mich herum. »Weißt du, was du da gerade getan hast?«, zischte er. »Ja«, sagte ich.
»Du weißt, wer dieser Junge ist?« »Er ist der Bastard des Königs«, sagte ich schonungslos, »und ich habe Alfred damit einen Gefallen getan.«
»Ach, hast du das?«, fragte Beocca immer noch wutschnaubend, »und welcher Gefallen wäre das, bitte schön?« »Was glaubt Ihr, wie lange er überleben wird«, fragte ich, »wenn wir ihn in den Schildwall stellen? Wie lange wird es wohl dauern, bis ihn eine dänische Klinge aufschlitzt wie einen frischen Hering? Das, Pater, ist der Gefallen. Ich habe Euren frömmlerischen König gerade von seinem lästigen Bastard befreit.« Dann gingen wir zu dem Festmahl. Das Hochzeitsmahl war genauso schauderhaft, wie ich es erwartet hatte. An Alfreds Tafel aß man niemals gut, selten reichlich, und sein Bier war immer dünn. Es wurden Reden gehalten, doch ich hörte keine davon, und Harfenspieler sangen, doch ich vernahm ihre Lieder nicht. Ich sprach mit Freunden, schüchterte mehrere Priester, die mein Hammeramulett nicht mochten, mit meinen Blicken ein, und stieg am Kopfende der Halle auf das Podium, um Æthelflaed, die dort am Tisch saß, einen keuschen Kuss zu geben. Sie strahlte förmlich. »Ich bin das glücklichste Mädchen auf der Welt«, erklärte sie mir. »Ihr seid jetzt eine Frau, Herrin«, sagte ich und lächelte über ihre aufgesteckte Frisur.
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