Schwertgesang
hören konnte, »nimm deine Männer und töte diese Scheißer im Tordurchgang.«
Ein Grinsen überzog Steapas Totenschädelgesicht. » Soll ich das Tor schließen?«, fragte er. »Lass es offen«, sagte ich. Ich wollte Sigefrid zurücklocken, um zu verhindern, dass seine erbarmungslosen Krieger in Æthelreds Fyrd wüteten, und wenn das Tor offen war, würde Sigefrid vermutlich eher uns angreifen. Das Tor war zwischen zwei turmartigen Steinbauten mit jeweils einer eigenen Treppe erbaut worden. Ich erinnerte mich daran, wie mir Pater Beocca, als ich noch ein Kind war, den Christenhimmel beschrieben hatte. Kristallene Treppen gäbe es dort, hatte er behauptet, und begeistert eine große, gläsern schimmernde Treppenflucht beschrieben, die zu einem weiß verhangenen Thron aus Gold führte, auf dem sein Gott saß. Er sei von lauter Engeln umgeben, von denen ein jeder leuchtender strahlte als die Sonne, während sich die Heiligen, wie Beocca die toten Christen nannte, auf der Treppe drängten und Loblieder sängen. Auf mich wirkte das höchst reizlos, und daran hat sich nichts geändert. »In der nächsten Welt«, erklärte ich Pyrlig, »werden wir alle Götter sein.« Er sah mich überrascht an und überlegte vermutlich, woher diese Behauptung wohl stammen mochte. »Wir werden bei Gott sein«, stellte er richtig.
»In Eurem Himmel vielleicht«, sagte ich, »aber nicht in meinem.«
»Es gibt nur einen Himmel, Herr Uhtred.« »Dann lasst meinen Himmel diesen einen Himmel sein«, sagte ich, und ich wusste in diesem Moment, dass meine Wahrheit die Wahrheit war, und dass Pyrlig, Alfred und all die anderen Christen unrecht hatten. Sie hatten unrecht. Wir bewegten uns nicht aufs Licht zu, wir entfernten uns von ihm. Wir gingen auf die Weltenverwirrung zu. Wir gingen auf den Tod zu und auf den Himmel des Todes, und als wir näher an den Feind herangekommen waren, begann ich zu rufen. »Ein Himmel für Männer! Ein Himmel für Krieger! Ein Himmel, in dem die Schwerter blitzen! Ein Himmel für tapfere Kämpfer! Ein Himmel voll Grausamkeit! Ein Himmel voller LeichenGötter! Ein Himmel des Todes!«
Alle starrten mich an, Freund und Feind. Sie starrten und hielten mich für irrsinnig, und vielleicht war ich auch irrsinnig, als ich die Treppe auf der rechten Seite hinaufstieg, auf der mich der Mann mit den Krücken angaffte. Ich trat ihm eine der Krücken weg, sodass er fiel. Die Krücke klapperte die Stufen hinunter, und einer meiner Männer trat noch einmal dagegen, sodass sie in einem Bogen bis an den Fuß der Treppe flog. »Todeshimmel!«, brüllte ich, und jeder Mann auf dem Wall sah mich an, und sie hielten mich immer noch für einen Freund, weil ich meinen seltsamen Schlachtruf auf Dänisch ausstieß.
Ich lächelte hinter den Wangenstücken meines Helmes, und dann zog ich Schlangenhauch. Unter mir, außerhalb meiner Sichtweite, begannen Steapa und seine Männer mit dem Töten. Keine zehn Minuten früher hatte ich mich in einem Wachtraum befunden, und jetzt war der Wahnsinn über mich gekommen. Ich hätte warten sollen, bis meine Männer die Treppe herauf waren und einen Schildwall gebildet hatten, aber irgendein Gefühl trieb mich vorwärts. Ich brüllte immer noch, doch jetzt brüllte ich meinen eigenen Namen, und Schlangenhauch sang sein gieriges, blutdürstiges Lied, und ich war ein Kriegsherr. Das Glück der Schlacht. Der Rausch. Es bedeutet nicht nur, einen Feind zu überlisten, es bedeutet, sich zu fühlen wie ein Gott. Ich hatte einmal versucht, es Gisela zu erklären, und sie hatte mit ihren langen Fingern mein Gesicht berührt und gelächelt. »Ist es besser als das?«, hatte sie gefragt. »Das Gleiche«, hatte ich gesagt. Aber es ist nicht das Gleiche. In der Schlacht setzt ein Mann alles aufs Spiel, um Ruhm zu gewinnen. Im Bett setzt er gar nichts aufs Spiel. Die Freude ist vergleichbar, aber die Freuden mit einer Frau sind flüchtig, während Ruhm ewig währt. Männer sterben, Frauen sterben, alle sterben, aber der Ruhm lässt den Mann weiterleben, der ihn errungen hat, und deshalb brüllte ich meinen Namen, als Schlangenhauch sich die erste Seele raubte. Sie gehörte einem großgewachsenen Mann mit einem angeschlagenen Helm und einem Speer mit langer Klinge, den er unwillkürlich nach mir schleuderte, genauso unwillkürlich wie ich seinen Vorstoß mit meinem Schild abwehrte und ihm Schlangenhauch in die Kehle stieß. Dann tauchte ein Mann zu meiner Rechten auf, und ich rammte ihn mit einem Schulterstoß zu
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