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Schwester der Finsternis - 11

Schwester der Finsternis - 11

Titel: Schwester der Finsternis - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Goodkind
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platziert, als ob sie den prachtvollen Zierrat eines großartigen Gebäudes darstellen sollten. Richard vermutete jedoch, dass sie mehr als das waren.
    Richard ging wieder daran, ein unförmiges, starres Glied herauszumeißeln. Wenigstens konnte er jetzt seine eigenen Glieder wieder benutzen. Es hatte eine Weile gedauert, aber jetzt war er genesen; allerdings schien ihm das eine kaum geringere Tortur zu sein.
    Jeden Tag versammelten sich Menschen, um die flachen Steinreliefs zu begutachten, die bereits auf dem oberen Mauerfries zu sehen waren. Manche knieten vor den Bilderszenen auf den gepflasterten Gehwegen nieder und beteten, bis ihre Knie blutig waren. Andere brachten Lumpen mit, die sie sich beim Beten unter die Knie legten. Viele starrten einfach mit verlorenen Blicken auf die in Stein gehauene Natur des Menschen.
    Richard konnte vielen Besuchern im Gesicht ansehen, dass sie mit einem vagen, nicht näher zu beschreibenden Gefühl der Hoffnung hergekommen waren und es sie nach einer absoluten Antwort auf eine Frage dürstete, die sie nicht zu formulieren vermochten. Ihre leeren Blicke, wenn sie wieder gingen, waren herzzerreißend. Es waren Menschen, denen man ebenso alle Lebendigkeit genommen hatte wie denen, die in den Verliesen des Ordens verbluteten.
    Einige dieser Menschen scharten sich um die Bildhauer, um ihnen bei der Arbeit zuzuschauen. In den zwei Monaten, die Richard jetzt als Bildhauer auf dem Ruhesitz arbeitete, hatte er nach und nach die Feinheiten seines Handwerks zu unterscheiden gelernt. Was er in den Stein meißelte, war entmutigend, doch der Vorgang des Bildhauerns selbst glich dies teilweise wieder aus. Richard schwelgte in den technischen Aspekten des von einer bestimmten Absicht gelenkten Bearbeitens von Stein mit Stahl.
    So sehr er die Dinge verabscheute, die er bildhauern musste, das Bearbeiten von Stein mit einem Meißel hatte er lieb gewonnen. Fast war es, als ob der Marmor unter seinen Händen zum Leben erwachte. Oft arbeitete er ein winziges Detail mit einer dem Thema angemessenen Ehrfurcht heraus – einen elegant erhobenen Finger, ein Auge mit wissendem Blick, eine Brust, hinter der sich ein rechtschaffenes Herz verbarg.
    War diese Anmut erreicht, machte er sie wieder zunichte, um den Anforderungen des Ordens gerecht zu werden. Meistens waren es diese Momente, in denen die Menschen in Tränen ausbrachen.
    Richard ersann unfassbar steife, gestelzte und missgestaltete Figuren, die unter der Schwere ihrer Schuld und Schande erdrückt zu werden schienen. Wenn dies seine Möglichkeit war, Kahlan am Leben zu erhalten, dann würde er jeden, der diese Werke erblickte, dazu bringen, dass er sich die Augen ausweinte. In gewisser Weise weinten sie stellvertretend für ihn, litten sie für ihn beim Anblick dieser Machwerke und wurden durch das, was sie sahen, an seiner Stelle vernichtet.
    So wurde es ihm möglich, diese Tortur zu ertragen.
    Wenn die Schatten mit der Abenddämmerung länger wurden und der Tag zur Neige ging, begannen die Bildhauer, ihre Werkzeuge in kleinen Holzkisten zu verstauen, bevor sie sich für den Abend auf den Heimweg machten. Sie alle würden bereits kurz nach Tagesanbruch wiederkommen. Der Baumeister gab ihnen die Anweisungen, welche Flächen und Formen mit Reliefs verziert werden sollten, damit sie die Steine auf die richtige Größe schlagen konnten. Bruder Narevs Jünger schauten vorbei, um ihnen die Einzelheiten der Geschichten mitzuteilen, die in Stein gehauen erzählt werden sollten.
    Der Stein, den Richard derzeit bearbeitete, war für den prächtigen Haupteingang des Ruhesitzes bestimmt. In weitem Schwung zu einem Halbkreis angeordnete Marmorstufen führten hinauf auf den riesigen, runden Zentralplatz. Ein halbkreisförmiger Säulengang umgab als Widerspiegelung der Treppe den rückwärtigen Teil des Platzes. Richards Aufgabe bestand darin, jenes weite Halbrund aus Bilderszenen zu erschaffen, das oberhalb dieses Säulenganges angebracht werden sollte.
    Es sollte ein Eingangsbereich entstehen, der den Ton für den gesamten Palast vorgab. In der Platzmitte sollte sich, so hatte Bruder Neal Richard mitgeteilt, Bruder Narevs Vision gemäß ebenjene Statue erheben, die den Palasteingang beherrschte; es sollte dies ein Kunstwerk sein, das jeden Betrachter mit dem überwältigenden Gefühl seiner eigenen Schuld und Schande angesichts der boshaften Natur des Menschen geradezu erschlug. Die Statue stellte in ihrer vollendeten Grausamkeit einen Appell zur

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