Schwester der Finsternis - 11
über dich. Ich bin hinter dein Geheimnis gekommen.«
Ein kalter Schauer überlief Richard. Seine Muskeln wurden hart wie Stein. Er machte sich bereit, sich in den Kampf zu stürzen. Jetzt schien es keinen anderen Ausweg mehr zu geben, als zu kämpfen. Neal war kurz davor zu sterben.
»Ich habe mit Volksprotektor Muksin gesprochen, musst du wissen.«
Richard war bestürzt. »Mit wem?«
Neal zeigte ihm ein siegessicheres Lächeln. »Dem Mann, der dich dazu verurteilt hat, als Bildhauer zu arbeiten. Er wusste deinen Namen noch. Er zeigte mir die deinen Fall betreffende Verfügung; du hast einen Verstoß gegen das Bürgerrecht gestanden. Auch die Strafe nannte er mir – zweiundzwanzig Goldtaler. Ein ansehnlicher Betrag.« Neal drohte abermals mit seinem Finger. »Das war ein Fehlurteil, Richard, und das weißt du. Niemand kann durch einen bloßen Verstoß gegen das Bürgerrecht in den Besitz eines solchen Vermögens gelangen. Ein solcher Gewinn kann nur unrechtmäßig erworben sein.«
Richards Anspannung löste sich ein wenig. Seine Finger schmerzten, weil er den Hammer so fest umklammert hielt.
»Nein«, fuhr Neal fort, »um ein Vermögen von zweiundzwanzig Goldtalern anzuhäufen, musst du eine sehr viel schwerwiegendere Tat begangen haben. Offensichtlich hast du dich eines sehr schwerwiegenden Verbrechens schuldig gemacht.«
Neal breitete die Hände aus wie der Schöpfer über eines seiner Schafe. »Ich werde mich deiner erbarmen, Richard.«
»Ist Bruder Narev denn einverstanden, dass Ihr Euch meiner erbarmt?«
»Aber gewiss. Siehst du, die Statue wird deine Buße an den Orden sein – deine Art der Wiedergutmachung für deine verruchte Tat. Du wirst diese Statue erschaffen, wenn du nicht gerade deinen anderen Arbeiten als Bildhauer für den Palast nachgehst. Du wirst keinerlei Bezahlung für sie erhalten. Gemäß Verfügung darfst du keinen Marmor aus den Beständen entwenden, die der Orden für den Ruhesitz des Kaisers angeschafft hat, sondern musst dir den Marmor aus deinen eigenen Mitteln beschaffen. Und wenn du ein Jahrzehnt arbeiten musst, um diese Summe zu verdienen, umso besser.«
»Soll das heißen, ich soll tagsüber hier auf meiner Arbeitsstelle als Bildhauer arbeiten und die Statue des Nachts, in meiner freien Zeit herstellen?«
»In deiner freien Zeit? Was für ein unredlicher Begriff.«
»Aber wann soll ich denn schlafen?«
»Schlaf interessiert den Orden nicht – wohl aber Gerechtigkeit.«
Richard atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Er deutete mit dem Hammer auf das auf dem Boden stehende Ding.
»Und das hier soll ich in Stein meißeln?«
»So ist es. Den Stein wirst du dir auf eigene Kosten besorgen, und deine Arbeit wird dein Beitrag zum Wohl deiner Mitmenschen sein. Das Ganze wird dein Geschenk an die Menschen des Ordens sein, als Buße für deine ruchlosen Taten. Männer wie du, die über eine gewisse Begabung verfügen, müssen frohen Herzens mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Unterstützung des Ordens beitragen.«
Bruder Neal machte eine ausladende Armbewegung. »In diesem Winter soll eine Weihung des Palastes stattfinden. Die Menschen benötigen einen greifbaren Beweis dafür, dass der Orden im Stande ist, ein so anspruchsvolles Vorhaben wie diesen herrlichen Palast in die Tat umzusetzen. Sie haben die Lektionen, die ihnen der Palast erteilen wird, dringend nötig.
Bruder Narev kann es kaum erwarten, den Palast zu weihen. Er wünscht noch diesen Winter eine gewaltige Zeremonie abzuhalten, an der zahlreiche Würdenträger des Ordens teilnehmen werden. Der Krieg schreitet voran; die Menschen müssen sehen, dass auch ihr Palast Fortschritte macht. Sie müssen die Ergebnisse ihrer Opfer sehen.«
»Ich fühle mich geehrt, Bruder Neal.«
Neal feixte. »Das solltest du auch.«
»Was, wenn ich … der Aufgabe nicht gewachsen bin?«
Neals Feixen weitete sich zu einem breiten Grinsen. »Dann wirst du wieder in Gewahrsam genommen und den Inquisitoren des Protektors Muksin übergeben werden, bis du gestehst. Hast du dann endlich gestanden, wird man dich an einem Pfahl aufhängen, und die Vögel werden sich an deinem Fleische gütlich tun.«
Bruder Neal deutete hinunter auf das groteske, lächerliche Modell.
»Heb es auf. Ihm wirst du dein gesamtes Leben widmen.«
Nicci sah auf, als sie Richards Stimme hörte; er sprach mit Kamil und Nabbi. Sie hörte ihn sagen, er sei müde und könne sich ihre Schnitzerei nicht ansehen, werde es aber morgen nachholen. Nicci
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