Schwester der Finsternis - 11
Ort. Keine dieser Aussichten behagte ihm, zusammen waren sie geradezu erschreckend.
So beängstigend die Aussicht auf ein solches Schicksal war, er hatte die Statue in bewusster Absicht und mit Vorbedacht geschaffen – und in Kenntnis des Preises, den er wahrscheinlich am Ende dafür würde zahlen müssen. Was er erreicht hatte, war diesen Preis wert, denn Sklaverei war kein Leben. Nicci hatte ihm damals versichert, dass ihre Frage mit seinem Tod oder seiner Entscheidung für den Tod an sich bereits beantwortet sei und sie Kahlan kein Leid zufügen würde. Nun hatte Richard keine andere Wahl, als auf dieses Versprechen zu vertrauen.
Die Statue existierte, das allein zählte. Das Leben existierte. Das war es, was die Menschen erkennen mussten. So viele Menschen in der Alten Welt sollten erkennen, dass das Leben existierte und gelebt werden musste.
Für diese frühe Morgenstunde herrschte in den Straßen von Altur’Rang ein ungewöhnliches Maß an Betriebsamkeit. Ab und zu eilten schwer bewaffnete Trupps der Stadtwache durch die Straßen. Eine große Anzahl von Menschen war anlässlich der Weihungsfeierlichkeiten in die Stadt gekommen; vermutlich war das der Grund, weshalb so viele Leute die Straßen bevölkerten.
Die Gardisten schenkten ihm keinerlei Beachtung, doch das würde sich, wie er wusste, bald ändern.
Als Richard beim Ruhesitz anlangte, bot sich ihm ein schockierender Anblick: Das sich über Meilen erstreckende offene Gelände wimmelte von Menschen. Wie Ameisen um ausgelaufenen Honig drängten sie sich von allen Seiten bis an die Palastmauern. Er vermochte nicht einmal ansatzweise abzuschätzen, wie viele Menschen die umliegenden Hügel bevölkerten. Das bunte Spiel der Farben zu beobachten, dort, wo er zuvor nur braune Erde und grünen Winterroggen gesehen hatte, war verwirrend. Er hatte gar nicht gewusst, dass so viele Menschen zur Weihung kommen wollten. Andererseits hatte er monatelang Tag und Nacht gearbeitet – wie hätte er erfahren sollen, was die Menschen vorhatten?
Richard umging das schlimmste Gedränge und begab sich die Straße hinauf zur Schmiedewerkstatt. Er wollte Victor abholen und mit ihm gemeinsam zur Baustelle hinuntergehen, um sich die Statue anzusehen, bevor der Orden in Erscheinung trat, um mit der Weihung zu beginnen. Zweifellos erwartete Victor ihn bereits voller Spannung.
Auf der Straße herrschte dichtes Geschiebe; die Menschen schienen aufgeregt, glücklich und voller Erwartung. Es war ein großer Unterschied zu dem üblichen Verhalten und Auftreten der Menschen in der Alten Welt. Vielleicht war ein Fest, sogar eines wie dieses, besser als all die anderen Tage ihres trostlosen Daseins.
Eine halbe Meile vor Victors Werkstatt sprang ein verstört aussehender Bruder Neal mitten auf die Straße und deutete mit ausgestrecktem Arm in Richards Richtung.
»Da ist er! Ergreift ihn!«
Gardisten, die die Menschenmassen in der Nähe durchkämmten, zogen auf Neals Kommando hin ihre Waffen. Als sie herbeistürmten, um ihn einzukreisen, war Richards erster Gedanke zu kämpfen. Blitzschnell hatte er den Feind eingeschätzt und sich seinen Gegenangriff überlegt. Er musste einem ungeschickten Gardisten lediglich das Schwert entreißen, und schon konnte er sie alle überwältigen. In Gedanken war diese schauerliche Tat bereits vollzogen; er brauchte sie nur noch auszuführen.
Die Gardisten kamen in vollem Tempo auf ihn zugerannt. Passanten sprangen aus dem Weg, manche vor Angst schreiend.
Allerdings war da noch immer Neal, und Neal war ein Zauberer. Doch auch diese Gefahr würde Richard meistern – Notlagen stärkten seine Fähigkeiten. Notlagen und Zorn – und zornig genug war er für diese Aufgabe allemal. Bereits jetzt toste in seinem Innern jenes Gefühl, jenes Toben düsterer Gewalt, dessen sich das Schwert der Wahrheit bediente.
Nur hatte Nicci ihm erklärt, dass Kahlan sterben würde, wenn er von seiner Magie Gebrauch machte. Würde sie davon erfahren?
Früher oder später ganz bestimmt.
Richard blieb artig stehen, als die Gardisten ihn derb bei den Armen packten, um ihn zu überwältigen.
Was spielte es im Grunde für eine Rolle? Wenn er Widerstand leistete, schadete er damit nur Kahlan. Wenn sie ihn hinrichteten, würde Nicci Kahlan ihr Leben leben lassen.
Aber er wollte nicht zurück in dieses finstere Loch!
Neal kam angerannt und fuchtelte ihm drohend vor dem Gesicht herum. »Was hat das zu bedeuten, Cypher! Was hast du geglaubt, damit erreichen zu
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