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Schwester der Finsternis - 11

Schwester der Finsternis - 11

Titel: Schwester der Finsternis - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Goodkind
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Ehrgefühl war für Nicci vollkommen unbegreiflich, doch irgend etwas sagte ihr, dass es zu dem passte, was sie in seinen Augen erblickte.
    Der Menge stockte erneut der Atem, als Richard sein Schwert über die Innenseite seines Armes zog. Er drehte es, zog beide Seiten durch das Blut, bis es von der Spitze tropfte. Andere konnten es vielleicht nicht, Nicci dagegen vermochte deutlich zu erkennen – ebenso wie sie in seinen Augen eine Fähigkeit erblickte, die andere nicht sahen –, dass das Schwert mit einer Magie in seinem Inneren verschmolz und sie vervollkommnete.
    Die Knöchel weiß um das Heft geschlossen, reckte er die tiefrot glänzende Klinge in die Luft.
    »Ich schwöre Euch einen Bluteid!«, rief er. »Tut Ihr den Baka Ban Mana etwas an, tut Ihr Schwester Verna etwas an oder mir, dann ist die Waffenruhe beendet, und ich verspreche Euch, dann sind wir im Krieg! Und wenn es zum Krieg kommt, werde ich den Palast der Propheten in Schutt und Asche legen!«
    Vom Oberen Balkon, wo Richard ihn nicht sehen konnte, wehte Jedidiahs spöttische Stimme über die Menge hinweg. »Du ganz allein?«
    »Zweifelt nur an mir, Ihr tut es auf eigene Gefahr! Ich bin ein Gefangener, es gibt nichts, wofür ich leben könnte. Ich bin die Fleisch gewordene Prophezeiung. Ich bin der Bringer des Todes!«
    Aus der bestürzten Stille kam keine Antwort. Wahrscheinlich kannte jede Frau im Saal die Prophezeiung vom Bringer des Todes, auch wenn keine sich ihrer beabsichtigten Bedeutung sicher war. Der Text dieser Prophezeiung wurde zusammen mit allen anderen in den Gewölbekellern tief unter dem Palast der Propheten aufbewahrt. Dass Richard sie kannte, dass er es wagte, sie in dieser Gesellschaft lauthals zu verkünden, war ein denkbar schlechtes Zeichen. Alle Löwinnen im Saal zogen aus Vorsicht ihre Krallen wieder ein. Richard rammte das Schwert in seine Scheide zurück, als wollte er seine Drohung damit noch unterstreichen.
    Nicci war sich darüber im Klaren, dass die tiefgreifende Bedeutung dessen, was sie in seinen Augen und in seinem Auftreten gesehen hatte, sie für immer verfolgen würde.
    Sie war sich auch darüber im Klaren, dass sie ihn vernichten musste.
    Nicci musste Gefälligkeiten gewähren und Versprechungen machen, auf die sie sich freiwillig nicht einmal im Traum eingelassen hätte, aber im Gegenzug wurde sie eine der sechs Ausbilderinnen Richards. All die Mühen, die sie als Gegenleistung für dieses Privileg auf sich genommen hatte, hatten sich gelohnt, sobald sie ihm allein an einem winzigen Tisch in seinem Zimmer gegenüber saß und ihm zart die Hände hielt – wenn es denn möglich war, mit zarter Hand einen Blitz zu halten – und sich bemühte, ihm beizubringen, wie man sein Han, die Essenz des Lebens und der Seele im Innern derer mit der Gabe, berührte. So sehr sie sich auch mühte, er spürte nichts. Das war an sich bereits seltsam. Oft genügte schon die leise Ahnung dessen, was sie in seinem Innern spürte, um sie der Fähigkeit zu berauben, ihm mehr als nur ein paar karge Worte zu entlocken. Beiläufig hatte sie die anderen ausgehorcht und wusste, dass sie blind dafür waren.
    Obwohl Nicci nicht begreifen konnte, welcher Aspekt seines Verstandes es war, der sich in seinen Augen und seinem Auftreten zeigte, so wusste sie doch, dass er die dumpfe Sicherheit ihrer Gleichgültigkeit durcheinander brachte. Sie sehnte sich danach, es zu begreifen, bevor sie ihn vernichten musste, gleichzeitig sehnte sie sich danach, ihn zu zerstören, bevor es soweit kam.
    Wann immer sie sicher war, kurz vor der Enträtselung des Geheimnisses seines einzigartigen Charakters zu stehen und vorhersagen zu können, wie er sich in einer bestimmten Situation verhalten würde, verblüffte er sie, indem er etwas völlig Unerwartetes, wenn nicht gar Unmögliches tat. Ein ums andere Mal legte er in Schutt und Asche, was sie für das Fundament ihres Verständnisses seiner Person gehalten hatte. Stundenlang saß sie allein und in tiefster Trübsal da, weil alles deutlich erkennbar vor ihr zu liegen schien, sie es aber dennoch nicht zu bestimmen vermochte. Sie wusste nur, dass es ein über alle Maßen bedeutendes Prinzip war, das sich nach wie vor ihrem Verständnis entzog.
    Richard war über seine Lage niemals glücklich und ging mit der Zeit zunehmend auf Distanz. Von aller Hoffnung verlassen, beschloss Nicci, dass die Zeit gekommen sei.
    Als sie zu seinem Zimmer ging, um ihm seine letzte Unterrichtsstunde zu erteilen und ihm ein Ende zu

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