Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
mit ernster Miene. Seine Soutane wies ihn als Priester aus, noch ehe er sich vorgestellt hatte. In einem Reflex bedeckte Paul seinen Schoß mit den Händen.
    »Herr Griscom?«, fragte der Priester leise. In dem fahlen Licht, das aus der Diele in den Vorgarten fiel, wirkte er in seiner schwarzen Soutane wie der leibhaftige Tod. »Paul Griscom?«
    »Das bin ich«, sagte Paul. Er fror, und das verdankte er nicht nur der Eiseskälte, die sich zusammen mit einigen Schneeflocken in die Diele stahl.
    »Entschuldigen Sie die Störung. Aber ich muss mit Ihnen reden. Es ist dringend.«
    »Worum geht es?« Die Situation kam ihm schrecklich bekannt vor, nur dass es beim letzten Mal sein Bruder gewesen war, der die entsetzliche Nachricht überbracht hatte.
    Wie zur Bestätigung sagte der Priester: »Es geht um Ihre Freundin.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Darf ich hereinkommen?«
    »Ähm, ja, natürlich«, stotterte Paul und trat einen Schritt beiseite. Der Geistliche trat mit einem dankbaren Nicken in die Diele.
     
     
    Berlin
     
    Ken, Philips bester Freund, wohnte in einem unsanierten Altbau in Friedrichshain, dem gegenwärtigen In- und Trendviertel Berlins. Die zwei Zimmer, in denen er lebte, waren wie das Haus um die Jahrhundertwende entstanden und, da von den unterschiedlichen Besitzern über die Jahre vernachlässigt, heute nicht mehr das, was in Magazinen wie Schöner Wohnen oder Art Deco gepriesen wurde. Aber die Miete war günstig, was mit Sicherheit auch an den Straßenbahnen lag, die den ganzen Tag und die halbe Nacht auf der Straße vor dem Haus vorüberrumpelten. Dies alles ließ Ken unbeeindruckt. An den Unwägbarkeiten, die das Leben in Berlin bereithielt, längst abgestumpft, war er mit einem Schlaf gesegnet, der der Winterstarre eines Murmeltieres nicht unähnlich war.
    Deshalb rechnete Philip damit, eine Weile in dem lausigen Wetter ausharren zu müssen, bis er seinen Kumpel endlich aus dem Bett geläutet hatte. Umso überraschter war er, als Kens Stimme aus der Gegensprechanlage knisterte, kaum dass er den Klingelknopf los ließ.
    »Ich bin’s, Philip«, meldete er sich.
    »Du?« Die Überraschung wechselte zu Befremden; es klang ganz danach, als habe Ken jemand anderen erwartet.
    Der Summer öffnete Philip die Tür zum Flur. Der erste Eingang, der von dem schachbrettfarbenen Marmorfliesen rechts abzweigte, führte bereits in Kens Wohnung. Der stand, zwar in Jogginganzug, aber hellwach, im Türrahmen und glotzte Philip mit großen Augen an. »Was machst du denn hier?«
    »Mir den Arsch abfrieren! Darf ich rein oder willst du mich im Flur stehen lassen?«
    »Blödsinn, komm rein. Mensch, Philip, das ist aber eine Überraschung.« Er wollte seinen Kumpel umarmen, ließ jedoch mit angewidertem Gesicht von ihm ab. »Du stinkst wie eine Schnapsleiche…«
    »Der Pulli«, sagte Philip, als würde das alles erklären.
    Ken nickte in Richtung Küche und sagte: »Schmeiß ihn in den Abfalleimer.«
    Philip tat, wie ihm geheißen, und folgte seinem Freund ins kleine Wohnzimmer. Zwei Kerzen flackerten unruhig auf dem Tisch, eine Lavalampe spuckte rote und blaue Blasen, aus den Lautsprechern der Stereoanlage erklang leise Ambientmusik. Silence von Dr. Atmo.
    »Erwartest du jemanden?«, wollte Philip wissen, während er in die Knie ging und den Rücken gegen die Heizung lehnte.
    Ken stieß den Atem affektiert aus. »Naja, irgendwie…«
    »Irgendwie?«
    »… schon.« Es war ihm sichtlich unangenehm.
    Philip entschied, es erst einmal dabei zu belassen.
    Ken sah ihn an. Fassungslos schüttelte er den Kopf. »Ich muss mich erst noch an den Anblick gewöhnen. Du mit Glatze. Sieht ziemlich strange aus.«
    »Du siehst auch nicht viel besser aus.« Philip wies auf den Sportanzug, einen alten Adidas-Jogger aus den 70er Jahren, den Ken bei einer Onlineauktion ersteigert hatte. Er war ihm zwei Nummern zu klein, saß wie eine zweite Haut am Körper und ließ ihn mitsamt seiner strohblonden Haare wie einen waschechten Schwulen wirken.
    »Möchtest du auch einen?«, fragte er.
    »Vergiss es«, sagte Philip. Die Heizung wärmte seinen unterkühlten Leib, und er setzte sich in einen Schalensessel, der mit seinem lilagelben Karomuster durchaus als Designerstück durchgegangen wäre – vor 30 Jahren. Jetzt hatte Ken ihn für 20 Euro bei Ebay erworben. »Aber ich wär dir dankbar, wenn du mir meinen Rucksack geben könntest.«
    »Deinen Rucksack?«
    »Ich hab ihn gestern im Tresor an der Garderobe abgegeben.«
    »Da liegt er gut.«
    »Hast

Weitere Kostenlose Bücher