Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
lächelte verlegen.
    Philip ging nicht drauf ein. »Ich hab mich schon gewundert, dass ich dich so schnell wach bekommen habe.«
    Ken verzog den Mund. »Das hatte Chris bereits erledigt.« Er lief in die Diele und drückte den Türöffner. Wenige Sekunden später huschte ein eiskalter Hauch von draußen durch den Wohnraum. Zischend erlosch eine der beiden Kerzen. Es raschelte in der Diele, als Kleidungsstücke an den Garderobenständer gehängt wurden. Stimmengemurmel. Chris sagte: »Ken, es tut mir Leid. Und danke, dass ich vorbeischauen darf.«
    Philip drückte den Joint im Aschenbecher aus. Schritte nahten. Chris rauschte in das Zimmer. »Das macht mich ganz…« Abrupt blieb sie stehen. »Du?«
    Sie starrte Philip an. Er hielt ihrem Blick stand. Vereinzelt schmolzen Schneeflocken in ihrem schulterlangen braunen Haar, das im Kerzenschein glänzte.
    Wärme durchflutete ihn. Er rang mit sich und sagte schließlich: »Wie geht’s dir?« Was Blöderes fiel ihm wohl nicht ein? Es klang, als hätten sie sich viele Monate lang nicht gesehen, dabei lag ihr letztes Beisammensein keine 48 Stunden zurück. Schmerzlich wurde ihm bewusst, was er in der Nacht angerichtet hatte. Wie ein kalter Lappen erwischte ihn die Schuld und vertrieb die Wärme. Er hatte Scheiße gebaut. Ja, wenigstens in diesem Punkt war er schuldig. Und am nächsten Morgen hatte Kommissar Berger in der Tür gestanden.
    »Philip«, meinte sie und bewegte sich keinen Zentimeter. »Was machst du denn hier?«
    Er wollte etwas Witziges sagen, etwas, was das Eis zwischen ihnen brechen konnte. Doch das Einzige, was er zustande brachte, war: »Ich glaube, diese Frage hatte ich schon mal.« Du Idiot!
    Sie löste sich aus ihrer Starre. »Entschuldige, dass ich dich gefragt habe.«
    »Chris«, flüsterte Philip, »es war nicht so gemeint.«
    Doch die Stimmung war bereits vergiftet. Sie hob die Augenbrauen: »Nicht?«
    Ken sprang dazwischen. »Leute, beruhigt euch. Keine Panik. Ist doch alles in Ordnung.«
    Aber Philip wusste, nichts war in Ordnung. Dies hier würde kein gutes Ende nehmen. Er stand auf. »Ich geh dann mal besser.«
    Um zur Tür zu gelangen, musste er an Chris vorbei. Er streifte ihren Arm. Wieder Wärme. Er bekam ihr Parfüm in die Nase. Er blieb stehen, etwas versperrte den Weg. Ihre Nähe. Gott, wie er sie vermisste.
    »Wohin willst du?«, fragte sie.
    Er überlegte. »Ich muss zu meiner Großmutter.«
    »Großmutter? Ich dachte, du hast keine Familie mehr.«
    »Doch, jetzt…« Wie sagte er es am besten? »Seit kurzem…« Es fehlten die Worte. »Ich habe… « Es fehlte einfach alles. Die Zeit ist gekommen. Und am allermeisten fehlte eine glaubhafte Erklärung. »Ach, was rede ich.« Er holte Luft.
    Chris betrachtete ihn für einen Augenblick eingehend. Ihre Miene war wie ein Spiegel. Er sah dunkle müde Augen, ein blasses Gesicht und zerknitterte Kleidung. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie in diesem Zustand verdammt gut ausschaute. Er dagegen wirkte wie ein Verbrecher auf der Flucht. Ein guter Witz.
    »Willst du mit mir darüber reden?«
    Draußen fuhr die erste Straßenbahn vorbei. Die Gläser in dem Sideboard klirrten. Philip wusste keine Antwort. Egal, was er sagte, es würde wie ein dummer Witz klingen.
    »Warst du im Gefängnis?«, fragte sie nüchtern.
    Er nickte.
    »Jetzt bist du frei?«
    Abermals ein Nicken.
    »Man weiß also, dass du unschuldig bist?«
    »Er ist abgehauen«, warf Ken ein. »Abgefahren, oder?« Hätte Philip mit seinen Blicken töten können, Ken hätte in dieser Sekunde der Schlag getroffen. Doch so zog er nur den Kopf ein und verdrückte sich in die tiefste Ecke seines kreuzbunten Sofas.
    »Du bist was?« Chris’ Stimme gewann an Schärfe. Ihre blauen Augen musterten ihn. Ein Blick, den er noch nie hatte leiden können. »Sag mir, dass das nur ein Witz ist!«
    Er senkte die Lider. »Es hat sich so ergeben.«
    »Ich glaub es nicht.« Fassungslos ließ sie die Arme hängen. »Es hat sich so ergeben? Das ist brillant, Philip. Selbst für deine Verhältnisse.« Angewidert löste sie den Blick von ihm. »Wirklich, das ist abgefahren. Das ist so richtig abgefahren.« Das qualmende Häufchen im Ascher weckte ihr Interesse. »Und nachdem du aus dem Knast geflohen bist, hast du nichts Besseres zu tun, als hierher zu kommen und dir die Birne wegzuknallen.«
    »Chris, das stimmt doch gar nicht!«
    Aber sie war bereits auf dem Weg in die Diele. »Damit möchte ich nichts zu tun haben.«
    »Chris!« Er hatte sie rufen wollen,

Weitere Kostenlose Bücher