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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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stürmte! Eirin wunderte sich, daß die Patienten bei diesem Lärm schlafen konnten.
    Aber sie schliefen. Es war heute nacht auf der Station ungewöhnlich ruhig. Die Lampe blinkte nur selten. Jetzt saß Eirin auf ihrem Hocker an der Wand und gähnte. Sie hatte sich von Schwester Inga ein Buch geliehen und versuchte, ein paar Seiten zu lesen, aber es fesselte sie nicht. Es war einer der üblichen Unterhaltungsromane mit jener bewußten Mischung von Liebe und Mißverständnissen.
    Liebe? Mißverständnisse? War es im Leben nicht ähnlich? Gingen nicht Liebe und Mißverständnisse Hand in Hand? Wer hätte es mit größerer Deutlichkeit erfahren als sie selbst?
    Wie es stürmte!
    Solch ein Sturm erinnerte sie immer an Frostviken und an jenen Heiligabend, an jene Nacht, als sie zusammengekauert in der Sofaecke saß und lauschte und wartete, in der sie so bitterlich geweint, bereut und so schwer gelitten - und schließlich die Postkarte mit den Palmen und dem blauen Himmel gefunden hatte. Was wäre wohl geworden, wenn sie diese Karte nicht gefunden hätte? Sie war völlig von ihr behext worden. Ohne diese Karte gesehen zu haben, wäre sie vielleicht klein und demütig gewesen, als
    Halfdan kam; sie hätte sich ihm an den Hals geworfen und um Verzeihung gebettelt. Alles wäre dann anders gekommen.
    Oder war es besser so? Eirin fühlte, wie sie in diesen schweren Beruf hineinwuchs und dabei reifer wurde.
    Sie kam sich jetzt viele Jahre älter vor als zu der Zeit, da sie in Frostviken kopflos auf den Küstendampfer gelaufen war.
    Gern erführe sie nur ein wenig mehr über Halfdan! Wie viele Sturmnächte hatte er wohl auf dem Meere zugebracht? Wo mochte er jetzt, in diesem Augenblick sein? Lag er und schlief nach einem mühevollen Tag, oder war er auf Krankenvisite? Saß er in bösem Wetter im Motorboot auf dem düsteren Meer, allein, mit kummervollen Gedanken -?
    Nein, er war nicht allein! Schwester Vera war bei ihm! Schwester Vera mit frischen, vom Wind geröteten Wangen, mit blitzenden Tropfen in ihrem lockigen Haar; Schwester Vera, die Instrumente auskocht und Verbände anlegt, die bei Operationen flink und geistesgegenwärtig assistiert und mit auf Krankenvisite fährt!
    Eirin schloß die Augen. Dieses Grübeln warf sie immer wieder aus dem Gleichgewicht, und es machte so müde! Die Gedanken kreisten, gleich todesmatten Vögeln, immer um denselben Punkt, ohne Ruhe, ohne einen guten Platz zu finden, wo sie sich niederlassen konnten.
    „Guten Abend, Schwester Lise! Jetzt müssen Sie aber aufwachen!“
    Eirin schlug die Augen auf.
    „Ach, Doktor Gard? - Sie haben mich so erschreckt.“
    „Das wollen Sie mir einreden! Haben wohl eben mal ein ganz kleines Nickerchen gehalten, was?“
    „O nein, ich habe nicht geschlafen. Ich dachte nur nach.“
    „So sahen Sie allerdings aus. Wie geht es auf Nummer fünfzehn?“
    „Ich denke, gut. Sie hat sich heute nachmittag ziemlich oft übergeben, aber vor einer Stunde ist sie eingeschlafen. Soll ich eben mal -?“
    „Nein, Sie sollen gar nichts! Ich weiß ganz genau, daß es auf Nummer fünfzehn gut aussieht. Warum auch nicht? Ganz klar, daß sie sich nach der Narkose übergeben hat. Nein, ich suchte nur einen passenden Vorwand, um eine Unterhaltung einzuleiten. Oder sollen wir lieber vom Wetter reden?“
    Eirin lachte. Dr. Gard sah aus wie ein Junge, wie er dastand, die Hände tief in den Taschen des weißen Mantels vergraben und mit einer störrischen Haarlocke in der Stirn.
    „Was kriege ich, wenn ich rate, warum Sie kommen?“
    „Nichts, das durchschauen Sie ohnehin leicht. Kocht das Wasser schon?“
    „Gleich.“
    „Fein. Ich hab’ Kuchen mit.“
    Dr. Gard war zur Zeit diensttuender Assistent. Er hatte die Angewohnheit, immer lange aufzusitzen und zu lesen, und ehe er zu Bett ging, machte er noch einmal die Runde auf der Station, angeblich, „um zu hören, ob etwas los sei“, in Wirklichkeit aber, um sich bei der Nachtschwester eine Tasse Kaffee außer der Reihe zu ergaunern.
    Sie saßen auf der weißgestrichenen Bank, mit Kaffee in dicken weißen Tassen, auf denen das Zeichen des Krankenhauses prangte, und Kuchen auf einem Pappteller zwischen sich.
    „Tolle Arbeit hat er heute geleistet, der Chef“, sagte Gard, den Mund voll Kuchen.
    „Sie meinen das Unglück auf Nummer achtzehn?“
    „Ja, das junge Mädchen. Ihr Gesicht sah aus wie Hackfleisch, als sie eingeliefert wurde. Ich habe bei der Operation assistiert, und nie in meinem Leben habe ich eine so meisterhafte

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