Schwesterlein, komm stirb mit mir
«Das ist ja mal was ganz Neues.»
Stadler ging nicht darauf ein, sondern deutete auf Liz. «Zuerst möchte ich euch Dr. Elisabeth Montario vorstellen. Sie ist uns ab sofort als psychologische Beraterin zugeteilt. Einige von euch haben sicherlich von ihr gehört. Die Kanalmorde, ihr wisst schon. Frau Montario, willkommen im Team.»
Einige applaudierten, andere klopften auf die Tischplatte, Gemurmel setzte ein, Liz schnappte die Wörter «Psychobraut» und «Killerschnalle» auf.
Stadler sorgte erneut für Ruhe und begann mit einer kurzen Zusammenfassung des bisherigen Ermittlungsstandes. Alle Verdächtigen im Fall Talmeier waren entlastet, der Ehemann hatte seine Frau gestern beerdigt und war nach Südamerika zurückgekehrt. Ein Klient der Anwältin, der sie bedroht hatte, weil sie keinen Freispruch für ihn erwirken konnte, hatte ein wasserdichtes Alibi: Er war zwar wieder auf freiem Fuß, hatte aber zur Tatzeit in einer Ausnüchterungszelle seinen Rausch ausgeschlafen.
Im Internet suchte man in Foren, auf denen sich Transsexuelle austauschten, nach verdächtigen Usern, weil man annahm, dass der Täter dort seine Opfer ausspionierte. Doch das gestaltete sich schwierig: Viele Chats waren nicht öffentlich einsehbar, und für einen richterlichen Beschluss gab es zu wenige konkrete Verdachtsmomente. Im Fall Matzurka hatte sich bestätigt, was der Arbeitgeber vermutet hatte: Die Frau war wohl auf dem Weg von der Wohnungstür in die Tiefgarage verschwunden. Anhaltspunkte für eine Entführung gab es jedoch keine.
Stadler hielt kurz inne, dann bat er Liz um eine erste Einschätzung des Täters.
Liz wiederholte, was sie ihm bereits am Montag erzählt hatte. Zudem versuchte sie, das wenige, was sie inzwischen über Tanja Matzurka wusste, in ihr vorläufiges Täterprofil aufzunehmen.
«Ich halte es deshalb für keinen Zufall, dass schon wieder ein Übergriff auf eine transsexuelle Frau stattgefunden hat», fasste sie schließlich zusammen. «Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar ist, was genau mit Tanja Matzurka geschehen ist. Oder geschehen wird.» Sie blickte in die Runde, inzwischen war das Getuschel verstummt, und alle hörten aufmerksam zu. «Ich fürchte allerdings, dass wir mit einer weiteren Eskalation rechnen müssen: Manuel Geismann wurde spontan getötet, er war, wenn man so will, zur falschen Zeit am falschen Ort. Leonore Talmeier wurde in ihrem Wohnzimmer ermordet. Und wir dürfen davon ausgehen, dass der Täter sie sorgsam ausgewählt hat. Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass der Täter sie erst verschleppte oder gefangen hielt. Er drang in ihre Wohnung ein, brachte sie um, verstümmelte sie und verschwand wieder. Bei Tanja Matzurka liegt der Fall wieder anders. Sie wurde wahrscheinlich entführt. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Entweder konnte der Täter die Tat nicht in Matzurkas Wohnung ausführen, vielleicht weil er gestört wurde oder eine Störung befürchten musste. Ich glaube jedoch eher, dass die Entführung Teil seines Plans ist, dass er sein Opfer entweder zu einem bestimmten Zeitpunkt oder an einem bestimmten Ort töten möchte. Sein Modus operandi ist also noch ausgeklügelter als bei Leonore Talmeier.»
«Lebt sie noch?», unterbrach ein älterer Beamter, der die ganze Zeit mit seinem Kuli herumspielte.
Liz überlegte kurz. «Ich denke, ja. Solange Tanja Matzurka noch nicht gefunden wurde, lebt sie. Der Mörder will, dass wir sie möglichst bald nach der Tat zu Gesicht bekommen. Leonore Talmeier hat er eine Stunde, bevor die Putzfrau kam, ermordet, und ich bin sicher, dass das Absicht war. Er will, dass wir seine Inszenierung sehen, solange sie noch frisch ist.»
«Dann verraten Sie uns doch, wo er sie versteckt hält.» Der Kahlköpfige, der Liz bereits aufgefallen war, lehnte sich zurück und starrte sie provozierend an.
«Das kann ich leider nicht», gab sie zu. «Aber wenn ich eine Vermutung äußern soll, würde ich sagen, dass er das kleinstmögliche Risiko eingegangen ist. Er hat sie nicht stundenlang herumkutschiert, sich nicht der Gefahr ausgesetzt, mit ihr gesehen zu werden. Er wollte sie nur festsetzen, damit sie ihm im richtigen Moment zur Verfügung steht. Vielleicht hat sie das Haus nie verlassen.»
Donnerstag, 24. Oktober, 10:20 Uhr
Ratlos schob Deborah den Einkaufswagen durch die langen Gänge des Supermarktes. Nicht nur jede Kette, jeder einzelne Markt schien sein ganz eigenes System zu haben, die Waren zu sortieren, was bedeutete,
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