Schwesterlein, komm stirb mit mir
dass man endlose Wege zurücklegen musste, wenn man sich nicht auskannte.
Hilfesuchend sah sie sich um. Ihr Blick fiel auf einen Mann, der ähnlich orientierungslos wirkte wie sie. Kurz entschlossen sprach sie ihn an. «Finden Sie sich auch nicht zurecht?»
Der Mann drehte sich zu ihr um. «Sieht man mir das so deutlich an?»
Fasziniert blickte Deborah in ein Paar braune Augen, die sie schelmisch anblitzten. «Wir könnten uns gegenseitig helfen, was meinen Sie? Ich suche Gewürze, genauer gesagt, Koriander und Thymian.»
«Hm, das klingt so, als müsste ich jemanden um sein Essen beneiden.»
Deborah lachte auf. Der Typ gefiel ihr. Er hatte nicht nur diese sagenhaft verführerischen südländischen Augen, sondern war auch ansonsten sehr ansehnlich. Und Charme und Humor schien er ebenfalls zu besitzen. «Würde es sich nicht um einen Frauenabend handeln, dürften Sie gern mein Gast sein.» Sie blickte sich um. «Zumindest, falls ich heute noch fündig werde. Sie wissen nicht zufällig, wo die Gewürze stehen?»
«Leider nein. Aber ich weiß, wie dem Abhilfe zu schaffen ist.» Er reckte den Hals, entdeckte eine Frau in einem weißen Arbeitskittel und winkte sie mit einer Geste heran, die vermuten ließ, dass er gewohnt war, Anweisungen zu geben. «Die bezaubernde junge Dame hier sucht Gewürze. Würden Sie ihr bitte behilflich sein?»
Die Verkäuferin nickte. «Kommen Sie mit», sagte sie und setzte sich in Bewegung.
Deborah machte zwei Schritte, bevor ihr einfiel, sich bei ihrem Retter zu bedanken. Rasch drehte sie sich um, doch er war bereits fort. Schade.
Als sie wenig später ihre Einkäufe in der Tasche verstaute, stand er plötzlich wieder neben ihr. «Ich hoffe, Sie haben alles gefunden?»
«O, ja. Danke, nochmals.» Deborah spürte zu ihrem Entsetzen, dass sie rot wurde. Das war ihr seit Ewigkeiten nicht mehr passiert. «Sie hoffentlich auch?»
«Ich bin bestens versorgt.» Er zwinkerte. «Dann wünsche ich Ihnen einen gelungenen Frauenabend. Vielleicht sieht man sich ja bei Gelegenheit wieder.»
Deborahs Verstand erholte sich gerade noch rechtzeitig von dem Durchhänger. So eine Chance durfte sie sich nicht entgehen lassen. «Warum sollten wir es dem Zufall überlassen? Ich bin nicht mehr lange in der Stadt, und es wäre doch zu schade, wenn ich in den nächsten Tagen nicht zum Einkaufen käme.»
Er lächelte. «Wenn das so ist, sollten wir dem Schicksal ein bisschen auf die Sprünge helfen.» Er deutete eine Verbeugung an. «Bis bald also.»
«Aber», murmelte Deborah verwirrt, «Sie wissen doch gar nicht, wie Sie …»
Er drehte sich noch einmal um. «Keine Sorge. Ich finde Sie.» Er zwinkerte ihr zu, dann marschierte er mit langen Schritten über den Parkplatz davon, die Hände lässig in den Taschen seines Mantels vergraben. Er schien gar nichts gekauft zu haben.
Donnerstag, 24. Oktober, 13:43 Uhr
«Ich dachte, ich könnte was über Jack the Ripper machen. Wer er war, ist schließlich bis heute nicht ermittelt.»
Liz musterte Thorsten Kramold amüsiert, den Studenten, der breitbeinig vor ihr auf dem Stuhl saß. «Und Sie glauben, dass Sie schaffen können, was Generationen von Hobbyermittlern nicht gelungen ist? Einen der rätselhaftesten Fälle der Kriminalgeschichte endgültig aufklären?»
«Wer weiß.» Er reckte trotzig das Kinn, auf dem ein hautfarbenes Pflaster prangte. Entweder hatte er sich beim Rasieren oder beim Pickelausdrücken ungeschickt angestellt.
Liz klopfte mit ihrem Kuli auf den Tisch. «Wie Sie meinen. Sie dürfen sehr gern eine Arbeit über Jack the Ripper schreiben, aber seien Sie gewarnt. Das Material über diese Mordserie ist schier endlos. Hunderte von Artikeln mit mehr oder weniger bahnbrechenden Erkenntnissen, Dutzende von Büchern mit Biographien einzelner Verdächtiger und so weiter. Ich erwarte, dass Sie sich auf den neuesten Stand der Forschung bringen und diese kritisch würdigen, bevor Sie mir Ihre eigene, zweifellos brillante Theorie präsentieren.»
Der junge Mann war blass geworden. «So viel? Aber …» Er kratzte sich am Kopf. «Ich könnte natürlich auch einen neueren Fall aufgreifen», schlug er schließlich vor. «Wenn Ihnen das lieber ist.»
Liz setzte sich gerade auf. «Wissen Sie was, Herr Kramold, Sie verschwenden meine und Ihre Zeit. Überlegen Sie sich in Ruhe, worüber Sie schreiben wollen, und bereiten Sie für die nächste Sprechstunde ein Thesenpapier vor, auf dem Sie kurz den Stand der Forschung zu Ihrem Thema skizzieren und
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