Schwesterlein, komm tanz mit mir
Notfällen darfst du nicht anrufen. Sie können mich nicht aus einer Konferenz herausholen, und bis sie zu Ende sind, ist es gewöhnlich weit nach Mitternacht.»
Susan nahm ihren Tee, stand auf und ging durch den langen Flur ins Elternschlafzimmer. Entschlossen stellte sie sich vor den großen Spiegel und betrachtete sich.
Tagsüber hielt sie sich selten mit Make-up auf, aber sie brauchte auch keins. Ihre Haut war rein und faltenlos, ihr Teint frisch. Bei ihrer Größe von etwas über einssechzig hätte es gewiß nicht geschadet, fünf Kilo abzunehmen. Als sie und Doug vor vierzehn Jahren geheiratet hatten, hatte sie weniger als fünfzig Kilo gewogen. Sweatshirts und Turnschuhe waren zu ihrer üblichen Bekleidung geworden, vor allem, seit Trish und Conner geboren waren.
Ich bin fünfunddreißig Jahre alt, sagte sich Susan. Ich könnte etwas abnehmen, aber im Gegensatz zu dem, was mein Mann denkt, bin ich nicht fett. Ich bin keine besonders gute Hausfrau, aber ich weiß, daß ich eine gute Mutter bin. Und auch eine gute Köchin. Ich mag meine Zeit nicht außer Haus verbringen, solange ich kleine Kinder habe, die mich brauchen. Vor allem, da ihr Vater sich überhaupt nicht um sie kümmert.
Sie trank den restlichen Tee, und ihr Zorn wuchs. Am Dienstag abend, als Donny von dem Basketballspiel zurückkam, schwankte er zwischen Ekstase und Kummer. Er hatte den Siegestreffer erzielt. «Alle sind aufgestanden und haben mir zugejubelt, Mami!» Dann fügte er hinzu: «Daddy war praktisch der einzige Vater, der nicht da war.»
Susan hatte der Schmerz in den Augen ihres Sohnes fast das Herz zerrissen. Der Babysitter hatte in letzter Minute abgesagt, und darum hatte sie selbst auch nicht zu dem Spiel gehen können. «Dies ist ein welterschütterndes Ereignis», hatte sie entschlossen gesagt. «Schauen wir mal, ob wir Dad erreichen und es ihm erzählen können.»
Douglas Fox war im Hotel nicht eingetragen. Kein Konferenzsaal wurde benutzt. Die Suite für Mitarbeiter von Keldon Equities stand leer.
«Vermutlich irgendeine neue Telefonistin, die sich nicht auskennt», hatte Susan zu Donny gesagt und sich bemüht, ruhig zu bleiben.
«Ja, wahrscheinlich, Mami.» Aber Donny ließ sich nichts vormachen. Im Morgengrauen war Susan erwacht, weil sie gedämpftes Schluchzen hörte. Sie hatte vor seiner Tür gestanden, aber gewußt, er würde nicht wollen, daß sie ihn weinen sah.
Mein Mann liebt weder mich noch seine Kinder, sagte Susan zu ihrem Spiegelbild. Er belügt uns. Er bleibt jede Woche mehrmals über Nacht in New York. Er hat mich so unter Druck gesetzt, daß ich ihn fast nie anrufe. Er gibt mir das Gefühl, eine fette, oberflächliche, langweilige, nutzlose Kuh zu sein. Und das bin ich leid.
Sie wandte sich vom Spiegel ab und betrachtete das unordentliche Schlafzimmer. Ich könnte sehr viel organisierter sein, räumte sie ein. Früher war ich das. Wann habe ich aufgegeben? Wann war ich so verdammt entmutigt, daß ich meinte, es sei gar keinen Versuch wert, ihm zu gefallen?
Nicht schwer zu beantworten. Vor beinahe zwei Jahren, als sie mit dem Baby schwanger war. Sie hatten ein schwedisches Au-pair-Mädchen gehabt, und Susan war sicher, daß Doug ein Verhältnis mit ihr hatte.
Warum habe ich der Sache damals nicht ins Auge gesehen? fragte sie sich, während sie begann, das Bett zu machen. Weil ich noch in ihn verliebt war? Weil ich nicht zugeben wollte, daß mein Vater in bezug auf ihn recht gehabt hatte?
Sie und Doug hatten eine Woche nach ihrem College-Abschluß in Bryn Mawr geheiratet. Ihr Vater hatte ihr eine Weltreise angeboten, falls sie es sich anders überlegte.
«Unter seinem Schuljungencharme versteckt sich ein skrupelloser, mieser Charakter», hatte er sie gewarnt.
Ich bin mit offenen Augen da hineingerannt, gestand Susan sich ein, während sie in die Küche zurückkehrte.
Wenn Dad auch nur die Hälfte gewußt hätte, würde er einen Herzinfarkt bekommen haben, dachte sie.
Auf dem Wandtisch in der Küche lag ein Stapel Zeitschriften. Sie blätterte sie durch, bis sie diejenige fand, die sie suchte. Eine Ausgabe von
People
mit einem Artikel über eine Privatdetektivin in Manhattan. Berufstätige Frauen engagierten sie, um Nachforschungen über die Männer anzustellen, die sie eventuell heiraten wollten. Sie beschäftigte sich auch mit Scheidungsfällen.
Susan ließ sich von der Auskunft ihre Telefonnummer geben und rief gleich an. Sie konnte mit der Privatdetektivin einen Termin für den folgenden Montag,
Weitere Kostenlose Bücher