Schwesterlein muss sterben
schien. Er fühlte sich fit und energiegeladen, keine Spur mehr von Müdigkeit oder ganz und gar Panik.
Erst als er hinter Fana auf die Straße nach Bergen einbog, dachte er für einen kurzen Moment wieder an die kleine Schlampe in der Hütte. Er hatte sie jetzt bereits über einen Tag nicht besucht, aber sie würde schon irgendwie an die Tüten mit dem Essen und der Wasserflasche gekommen sein, die Kette, mit der er sie angebunden hatte, war lang genug. Und überhaupt wäre es nicht seine Schuld, wenn sie hungern musste!
Er grinste unter seinem Helm. Alles schön der Reihe nach, dachte er. Wenn alles so lief, wie er es sich zurechtgelegt hatte, würde sie heute Nacht ohnehin ihre Henkersmahlzeit bekommen. Vielleicht würde er sogar ein paar Kerzen für sie anzünden, um es richtig feierlich zu machen.
Kurz vor seiner Wohnung wurde er dann doch wieder unsicher. Vielleicht war es nur der dunkle Audi, der ihm auffiel, als er in die Nygårdsgate eingebogen und schon fast anseinem Haus war. Die zwei Männer, die auf den Vordersitzen bei geöffnetem Fenster ihren Pappbecher-Kaffee tranken, konnten ohne weiteres Zivilbullen sein. Aber nachdem er zweimal an ihnen vorbeigefahren war, ohne dass sie reagierten, war er sich halbwegs sicher, dass das Ganze nichts mit ihm zu tun hatte. Trotzdem schloss er das Moped sicherheitshalber ein ganzes Stück von seinem Hauseingang entfernt an einen Laternenpfahl und nahm dann die Toreinfahrt vom Nachbarhaus, um von dort in seinen Hinterhof zu gelangen.
Zwei kleine Jungen unterbrachen ihr Fußballspiel und beobachteten ihn neugierig, als er eine Mülltonne an die Mauer schob und hochkletterte. Er grinste ihnen zu und hielt sich den Finger vor die Lippen, dann deutete er von seinen Augen auf ihre und fuhr sich mit der flachen Hand über den Hals. Die Jungen starrten ihn entsetzt an und rannten davon.
An seiner Wohnungstür deutete nichts darauf hin, dass in der Zwischenzeit irgendjemand da gewesen war, nur der Briefkasten war wie üblich vollgestopft mit Reklame.
Zwei oder drei Briefumschläge waren dabei, aber er hatte es schon lange aufgegeben, solche Briefe zu öffnen, es waren ohnehin nur Rechnungen oder irgendwelche Mahnschreiben. Sollte sich doch sein Betreuer darum kümmern, dachte er, hatte der Scheißkerl wenigstens wieder was, worüber er sich aufregen konnte. Er konnte ihn jetzt schon hören, wie er ihn kopfschüttelnd musterte: »Du musst endlich anfangen, dein Leben in den Griff zu bekommen! Und dazu gehört nun mal auch der Papierkram. Hab einfach ein bisschen Vertrauen in dich, du kannst das. Und ich bin nicht immer für dich da, vergiss das nicht!« Und immer so weiter, nichts als hohles Blabla …
Er nahm den Stapel und warf ihn achtlos auf den Küchentisch, dann kramte er seinen Rucksack aus dem Schrank undfing an, die notwendigsten Sachen zusammenzupacken, die er in den nächsten Tagen brauchen würde.
Er wollte fürs Erste nicht mehr zurückkommen, sondern von jetzt an alles, was er noch vorhatte, von der Hütte auf dem Campingplatz aus erledigen. Es schien ihm sicherer so und hatte auch den leichten Kitzel eines großen Abenteuers, das vor ihm lag.
Er zögerte einen Moment, ob er ein oder zwei der »Teste deine Intelligenz«-Hefte einstecken sollte, entschied sich dann aber dagegen. Und nahm stattdessen die Autogramm-Postkarte von Razika von der Wand über seiner Matratze. Auch sie waren nichts anderes als kleine Schlampen, die sich für etwas Besonderes hielten. Aber er hatte sich schon vor längerem ihre Adressen besorgt, und das Foto würde ihn daran erinnern, dass er noch viel vor sich hatte. Zumindest die Bassfrau und die Schlagzeugerin würden dieses Jahr noch das richtige Alter erreichen, ihre Geburtstage hatte er ebenfalls recherchiert und in seinem Taschenkalender rot eingekreist.
Als er sich an der schief eingedrückten Heftzwecke den Daumennagel abbrach, fluchte er laut.
Er war gerade dabei, die Tür abzuschließen, als plötzlich der Glatzkopf vor ihm stand, wieder im Anzug und mit der unvermeidlichen Laptop-Tasche über der Schulter.
»Ich hab dich über den Hof kommen sehen«, eröffnete die Glatze das Gespräch. »Du warst zwei Tage nicht da, richtig?« Er musterte den Rucksack. »Und jetzt bist du auch schon wieder auf dem Sprung. Gerade viel zu tun, was?«
»Mann, was willst du? Hast du irgendein Problem, oder was?«
»Ich nicht. Aber du vielleicht.«
»Nicht dass ich wüsste …«
»Na ja, ich dachte ja nur, es könnte dich vielleicht
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