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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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Hauses, das war eine rühmliche Ausnahme. Eine Bewässerungsanlage duschte den englisch getrimmten Rasen. Verschwommen sah ich die Silhouette Maries. Sie saß an meinem Bett und hielt meine Hand. Legte mir kalte Lappen auf die Stirn und redete wie ein Wasserfall.
    „Man sieht, du hörst zu“, sagte meine Schwester. „Du hast müde Augen und eine in Falten gelegte Stirn. Deine Ohren sind spitz. Du hast Ringe unter den Augen. Ich habe dein Gesicht gewaschen, deine Zähne gereinigt und dein Haar gekämmt. Nimm du nun eine Dusche und wirf die Tabletten in die Toilette. Geh hin und trage dir eine Creme auf. Schlafe, ertaube und öffne erholt die Augen. Was ist mit dir geschehen? Hörst du den Wagen? Siehst du das Scheinwerferlicht? Wohin fällt der Schein? Siehst du den Schatten, der du bist im Spiegel? Siehst du deine hohlen Augen? Siehst du dich? Siehst du dich durch geschlossene Augen hindurch? Ja, du kannst dich sehen. Wie tot. Willst du so enden? Siehst du den Hauch? Weißt du, wie kalt es ist? Weißt du überhaupt, wo du bist? Merkst du nicht, dass du stinkst? Kannst du nicht dein Bettzeug waschen? Kannst du nicht vom Fenster weggehen? Kannst du nicht aufhören, an mich zu denken? Willst du nicht endlich du selber sein und mich in Ruhe lassen? Siehst du die Scheinwerfer? Hörst du die Hunde? Ich habe sie mir angeschafft, damit sie dich beißen. Willst du sie vergiften? Ich traue es dir zu.“
    Marie schlug die Beine übereinander und verschluckte sich an den Worten ihrer Tirade. Sie rieb meine rechte Hand. Ich sah sie mit großer Zärtlichkeit an, was als Dankbarkeit gemeint war. Sie legte die Hand zurück unter die Decke und sagte: „Du zerstörst dein Leben und meines.“
    Was Marie mir mitteilen wollte, ließ sich in zwei Worten formulieren: „Hau ab.“
    Dann breitete sich Düsternis aus, als ihre dunkle Stimme sprach: „Ich habe mich verlobt.“
    Das Schweigen schob Marie deutlicher in meinen Gesichtskreis, weil sie sich hereinbeugte in meine unerträgliche Leere. „Steh mir nicht im Wege“, bat sie flüsternd. „Ich werde Paul heiraten.“
    Meine Schwester rieb ihre Wange an meiner Schläfe. Sie war erst dreiundzwanzig. Aber sie war es, die tiefe Falten unter den Augen und eingegrabene Furchen in der Stirn hatte. Ihre Kehle war trocken. Ihr Haar war stumpf. Stumpfes Haar ist ein Zeichen für unglückliche Liebe. Marie trug das Haar kurz, die Locken wie eine Haube um ihr Gesicht herum gebettet. Sie legte die Arme um meine Schulter. Ihr Atem roch nach Fisch und Rotwein. Sie schien geraucht zu haben. Ihre Arme hielten mich umfangen. Ich blieb stumm und schloss die Augen. Paul war gefährlich, wie sollte ich das dieser banal verliebten Braut klarmachen? Paul war ein Vergewaltiger. Wie sollte ich damit leben, dass Marie in ihr Unglück lief wie mit der Faust ins offene Messer. Ich würde abhauen, beschloss ich still für mich. Sterben. Ich hörte auf zu atmen.
    Marie rüttelte mich, ohrfeigte mich aus der Apathie. Mit ihren eruptiven Entladungen aus Rotz, Speichel und Tränen, Aggregatzuständen ihrer Sorge um meinen Zustand, holte sie mich ins Leben zurück. Sie war und blieb meine Stütze. Ihre Umklammerung presste mich an die gummiartige Erhebung ihrer Brust, bevor ich ihren Körperbau erspürte und sie mich durch die Pufferzone ihres Körpers an sich presste. Die Wärme, der Halt ihrer starken Knochen waren die Substanz meiner Marie. Meine Liebe wurde nun erwidert. Marie fühlte sich gut an, herb, kernig, ich gab mich hin, an die uns auf alle Zeit mit Sehnsucht erfüllende Umarmung, erwog mich in diesem Sinn aufgehoben.
    Sie belebte mich mit zärtlichen Händen, streifte das Haar aus der Stirn und küsste mich auf Wange und Kinn. Dann schlief ich ein.
    Als ich wieder erwachte, lag ich in der schmutzigen Kaschemme meines Bungalows in Maries Armen, schwach, ergeben, todtraurig. Die traute Zweisamkeit unterbrach Paul. Ich hatte Herzrasen, als Marie fragte, ob ich bereit wäre, mich in den nächsten Tagen einmal mit ihm zu unterhalten. Ich drehte den Kopf zur Seite. Warum soll ich mit diesem Verräter sprechen? Aber ich war klug, gab mich paktfähig, schwieg, um zu kooperieren und Marie aus seinen Fängen zu befreien.
    „Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben“, sagte Marie.
    Da trat Paul plötzlich vor, er hatte sich die ganze Zeit in meinem Zimmer befunden. Er konnte sich so zurückhaltend benehmen, dass man ihn nicht bemerkte, und dabei wartete er nur auf die Schwäche seines Opfers und schlug dann

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