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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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gleich zu erkennen geben, aber ich spürte, ich war ausgeschlossen. Wieso erwartete man mich nicht schon im Haus des Vaters? Wieso zählte ich nicht zum Trauerzug? Ich beschloss, mich erst bei der Einsegnung zu erkennen zu geben und vorerst noch die Touristin zu spielen.
    Marie trug eine schwarze Sonnenbrille. Sie war in den letzten Jahren nicht mehr gewachsen, eine junge Frau zwar, und ich müsste zu ihr aufblicken. In mir gärte das Extrakt der Rachlust, das meine Seinsebene, hier und jetzt, durch den Mann an ihrer Seite verätzte. Es war Paul. Er trug ebenfalls eine Sonnenbrille. Ich war hinter meinen schwarzen Scheiben nicht leicht zu erkennen. Die Gäste des Kaffeehauses erhoben sich und ich fügte mich in die Allgemeinheit bis zum Untergang meiner Individualität. Männer nahmen ihre Hüte ab und Frauen bekreuzigten sich. Nur die Touristen ließen sich von der letzten Ehrerweisung für einen Gestrandeten nicht anstecken und vollzogen die Bekreuzigung ihrer Stirnen und Herzen, während sie an den Strohhalmen saugten und den Eiskaffee ausrüsselten.
    Marie folgte dem Toten. Sie war eine Allegorie der Würde. Sie ging aufrecht, entschlossen, leicht nach vorne gebeugt, und immer im selben Abstand, als schöbe sie die Totenkiste mit der Energie aus ihrem Brustbein an. Stolz trug sie einen schwarzen Rock und eine schwarze Bluse, hatte ihr Haar mit einem schwarzen Schleier umflort. Die Witwe meines Stiefvaters schob einen Kinderwagen, darin lag wohl ein Wechselbalg, den er ihr noch hinterlegt hatte. Wieso hatte mir niemand gesagt, dass ich Tante geworden war? Selbst der Kinderwagen war schwarz beschleift, was mir geschmacklos anmutete, als wäre hier eine Totgeburt zu bestatten, ein böses Omen. Ich setzte mich wieder zu meinem Frühstück mit dem schlechten Kaffee. Ich hatte gesalzene Butter zu Zitronenmarmelade auf Weißbrot aufgeschmiert. Bald würden auch wir zu Grabe getragen, dachte ich, mich nun in der Respekt zollenden Gemeinschaft der Einheimischen umsehend. Ich erwog, Marie, als Unvermählte, in einem Hochzeitskleid für die Ewigkeit zu bestatten. Sie war jung und doch schon sehr verlebt. Ihre Haut wirkte auf die Entfernung welk, vielleicht auch nur gebräunt. Ich spürte den Impuls, ihr beizustehen, und tat den ersten Schritt. Aber da nahm der Mann neben ihr die Brille ab, seine honigfarbenen Augen waren nur auf Marie konzentriert. Paul nahm mir jede Lust, mich in die Trauer einzumischen.
    Dieser Lump folgte in der Rangordnung des Trauergrades hinter der Tochter meiner Drittfamilie. Der, der als der Letzte zu folgen hätte, war in meinen Augen auch ein Toter. Ich drückte meine griechische Zigarette aus. Dieser Päderast stieg meiner Schwester über Stiefvaters Grab nach, veranlasste mich, die frisch angerauchte Zigarette im Sud meines griechischen Kaffees auszudrücken. Ich hätte mich von dieser traurigen Familienszene nicht abgetrennt gefühlt, wäre Paul nicht aufgetaucht. Während er sein Kinn auf die Brust drückte und es in Falten legte, ein weißes Tuch an die Kerbe zwischen Nase und Mund setzte und schniefte, trat ich hinter meinem Kaffeehaustisch hervor und folgte dem Trauerzug wie ein treuer Hund, aber in großem Abstand. Im Minirock und mit hautengem Top, hochgestecktem Haar und schwarzer Sonnenbrille, braun gebrannt, fast schwarz – ja, meine Haut trug Trauer –, weinte ich nicht dem toten Stiefvater hinterher, sondern jedem Halt. Meine Füße steckten in Sandalen aus Leder und wurden von Riemchen gehalten, wie ich in meiner Haut von Striemen gehalten wurde, als Folge der Selbstgeißelungen. Ich gefiel mir trotzdem. Die Riemen waren dehnbar wie meine Sehnen und Bänder, die das Knochengerüst kompakt und elastisch halten, doch durch die Ausdehnung wegen der Hitzeeinwirkung boten sie zu viel Spielraum. Ich taumelte. Hielt auf dem sandigen Boden, der unter meinen Füßen zerstob, noch die Balance. Das Haar löste sich und hing strähnig herab, ich hatte keine Lust, es wieder hochzustecken.
    Ich folgte dem Trauerzug unter Kopfschmerzen und dem Stimmengewirr aus Klage und Trauer als Schlusslicht. Ich bildete mir ein, Gegenwart zu riechen. Majoran und Minze. Ich schnupperte die Düfte, ein Hauch süßen Fleisches trübte die Wahrnehmung. Der Gestank nach Scheiße wehte aus Pauls Richtung heran. Sein Körper bewegte sich mit Spannkraft im jugendlich wirkenden, saloppen Gewand, er trug als einziger weiße Hosen. Seine Schuhe traten auf dem Sand mit vernichtendem Geknirsche auf. Tritt für Tritt. Er

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