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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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fragte ich. Und erfuhr, dass Marie hier nicht nur ein Feriendomizil errichten würde, sondern auch in wenigen Tagen schon hier auf der Insel die Hochzeit feiern. Sie selber finde es zwar unpassend, sagte die Griechin, kurz nach einem Begräbnis Hochzeit zu feiern, doch schließlich hätten sich die Zeiten verändert, die Familien seien größer und die Blutsverwandtschaft weniger kräftig geworden. Ob ich wegen Begräbnis und Hochzeit hier sei?
    Ich hielt den Atem an. Marie wollte Paul schon so bald heiraten? Das Ja-Wort würde nie aus ihrem Mund kommen. Ich fasste den Entschluss, mich mit Paul erst einmal wie zwei Erwachsene ernsthaft zu unterhalten.
    Dann überstürzten sich die Ereignisse. Die Griechin warf mir einen erschrockenen Seitenblick zu. Der Ärmel meines Kleides war hochgerutscht und gab den Blick auf die Armbeuge frei. Natürlich sah die Autofahrerin die rot unterlaufenen Stellen der Einstiche, die Paul mir versetzt hatte. Plötzlich fuhr ein verächtliches Auflachen durch die Fahrerkabine. Die nette Dame blieb abrupt stehen, meine Tür öffnete sich automatisch und sie verabschiedete mich mit einem angewiderten: „Verpiss dich, Junkie.“
    Der Seitenhieb irritierte mich nicht, sie hatte die Einstichstelle der Kanüle missdeutet, doch die Verachtung, die sie nötigte, mich zu beschimpfen, wieso auch immer man einen Junkie als Junkie beschimpfte, traf mich wie ein Verrat. Ich hatte mich in ihrer Freundlichkeit getäuscht. Es war mein Verrat an meinem Vertrauen in mein Weltvertrauen. Ich musste skeptischer werden, allen gegenüber, so lautete mein innerer Auftrag – heute weiß ich, auch mir selbst gegenüber.
    Sie nahm die nächste Abzweigung und fuhr über den Feldweg auf die Landstraße zurück, parkte bei der Tankstelle, von wo aus sie Sicht auf mich hatte, und beobachtete mich beim Autostopp. Der Wind wirbelte Staub auf. Ich trat von einem Bein auf das andere und hüpfte im Stand. Am Straßenrand leuchtete das Giftgrün weggeworfener Sandalen. Da hielt schon der nächste Wagen an. Ich schritt auf das Auto zu. Die Beifahrertür öffnete sich. Da begann die Dame im Pajero wie wild zu hupen und zu winken, genauer, den Fahrer zu warnen. Der Mann kommunizierte mit Lichthupe und verstand ihr Zeichen, warf die Zigarette aus dem Fenster, legte die Hand ans Steuer, stieg aufs Gas, fuhr mit durchdrehenden Reifen los, ließ mich stehen. Fassungslos schaute ich ihm nach. Er zeigte mir auch noch den ausgestreckten Mittelfinger, der zwischen den Kopfstützen erschien.
    Ich war zornig darüber, dass mich auch das Inselvolk aus seiner Gemeinschaft auszustoßen begann. Von meinem heutigen Standpunkt aus gesehen, habe ich damals zwar ein Verbrechen begangen, aber eigentlich bin ich nur konsequent meinem Weg gefolgt. Ich habe Marie auf die Folter gespannt, ja. Von jeder Ästhetik wird das verlangt und von meiner Überzeugung auch. Kurzweiligkeit entsteht durch emotionale Beteiligung am Geschehen. Man wollte mich nicht haben. Ich sollte allein mein Dasein fristen und bedürfnislos stillhalten. Tödliche Langeweile ist die Folge, wird man zu diesem Lebensstil verdammt. Vereinsamung, Verlust des Selbstwerts, und wer nichts wert ist, der räumt sich eines Tages selbst aus dem Weg. Die Angst vor Schmerz erzeugt Stress und Stress erzeugt Spannung, Medizin gegen die Langeweile. Ich würde Marie fesseln und knebeln, nicht um sie zu ermorden. Sie sollte still sein und ausharren unter Spannung, bis sie kapierte, dass Paul mich vergewaltigt hatte und deshalb kein Intimpartner für sie sein konnte.
    Nur wenn ich mich beherrsche wie eine von mir erschriebene Figur, bin ich fähig mitzuteilen, was weiter geschah. Ich tat alles für Marie, obwohl mir weder Anerkennung noch Verständnis gegönnt waren. Vielleicht trieb mich weniger die Überzeugung, sie zu belehren, als die Auflehnung gegen den Satz: Missbrauch gehört zu unseren Leben wie das Amen zum Gebet.
    Als mich das ovale Gesicht, das seine Erfahrung formvollendet in Güte einfasste, aus dem nächsten Auto anstrahlte, erkannte ich Marie an der Art, wie sie ihr Haupt in sanfter Dissoziation zu den Schultern drehte, erhaben wie eine Eule. Ich winkte, aber Marie entdeckte mich nicht. Paul fuhr. Ich sprang auf die Straße. Wenn er mich überfahren würde, gäbe es die Augenzeugin im Pajero. Ich schloss die Augen. Hielt den Atem an. Die Reifen quietschten und ich hörte das Rutschen des Gummis über den Asphalt. Dann schlitterte der Wagen in den Straßengraben und es erfolgte der

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