Schwestern der Angst - Roman
wachsam und ihr Gehirn besaß die gleichen Zentren wie meines. Sie trug einen Businessanzug, der sie respektabel kleidete, und sie nützte die Macht der Krücken und forderte mich simpel auf, Anne in Ruhe zu lassen und mich stattdessen um sie zu sorgen. Ich ließ meine Wut auf diese Zurechtweisung verebben, als Anne ihre edle Stirn an meinen Oberarm lehnte. Sie entsprach dem Willen der Betreuerin und stillte meinen Trotz, indem sie den Text im Schlummer wiederholte.
Wir fuhren direkt zum Studio. Ich kam mir steif und hölzern vor, als ich die Betreuerin sagen hörte, Anne sei eine der bestbezahlten Kinderschauspielerinnen Englands. Und als die Chefin wie eine Komplizin ihr die Broschüre zu einem anderen Spot reichte, auf der Suche nach der älteren Frau für das Konterfei einer Altersvorsorge, beschloss ich, Anne doch noch ein wenig zu erziehen.
Ich ging in die Garderobe des Mädchens. Ich ahnte, dass sie die Schule schwänzte, um auf Castings Männern hinterherzusteigen, die Filme drehten und ihr den großen Erfolg versprachen. Die Betreuerin beutete das kindliche Verlangen nach Anerkennung nur aus, statt das Mädchen anzuleiten. Also übernahm ich diesen Part und maßregelte Anne mit Aufklärungsunterricht. Anne saß auf der Couch. Ich deutete auf die Beine. Anne war ratlos. Ich klopfte ihr auf die Knie, die Oberschenkel. Die Stimmung zwischen uns war schnell aufgeheizt. Anne folgte nicht auf mein Wort. Sie kniff die Knie zusammen. Sie juchzte, als ich ihr mit dem Gürtel einen Hieb versetzte. Ich hatte dasselbe mit Marie gemacht, Marie hatte nicht gejuchzt, dafür geschrien. „Habe ich dir Angst gemacht?“, fragte ich Anne. Ich wusste ihr nicht anders zu helfen, als sie zu zwingen, das Obst zu schälen und hineinzubeißen unter Hieben.
Wir hätten eine Menge mehr Spaß haben können, aber leider kam schon die Betreuerkuh dazwischen. Was ich hier zu suchen hätte, fragte sie mich.
„Ich übe mit Anne“, sagte ich.
Anne schluchzte. Sie sprach stockend, dass ich „scaring“ sei. Ihre Betreuerin, die unbedingte Disziplin verlangte, wurde immer lauter, so laut, dass auch das Team hören konnte: „Lassen Sie meine Anne in Ruhe, ruinieren Sie nicht mein Geschäft.“
Im Werbefilm reicht eine kleine Beschwerde und schon fliegt man aus der Branche. Ich war irritiert, denn ich verstand die Aversion nicht, die diese Frau gegen mich abfeuerte. Ihr Angriff auf meine Autorität war unhöflich und tödlich. Ich hatte dem Kind doch nur seine Integrität erfahrbar gemacht. Ich war ganz ratlos und bat um Aufklärung.
Die Chefin brachte mir den Zettel mit meinen neuen Aufträgen, ich überflog die Seite und Unverständnis und Ratlosigkeit schwappten ineinander über. Anstatt zum Lunchbuffet eingeladen zu sein, war ich entsandt, die Kalkulation für den Medizinfilm zu erstellen, und dann hätte ich mich auf die Suche nach einem neuen gepunkteten Kleid für Anne zu machen. Die Chefin war mir bisher nur als Salattigerin bekannt, jetzt erschien sie mir als Menschenfresserin. Waren wir uns noch ein halbes Jahr zuvor bei einem Tiefkühlspot nähergekommen, so schien sie mich nun abzulehnen und nur noch als Sklavin zu verwerten. Sie ging zum Buffet, wo Gebäck und Aufstriche warteten, daneben der von mir gekaufte Fleischberg.
Ob das Fleisch nicht für die Katzen wäre?, gab ich fragend zu bedenken. Die Chefin hob mit der Messerspitze dem Fleischberg die Kuppe ab, schnupperte daran und leckte sich angeregt über die Oberlippe, dann schmierte sie das Fleisch auf das Brot. Sie pfefferte den Happen und sagte, die Tiere hätten ihre Portion abbekommen, der Rest vom Beef Tatar sei nun für uns. Sie biss ins Brötchen mit dem Tatar aus Gekröse mit grob gemahlenen Pfefferkörnern. Ich schwieg. „Bevor Sie sich an die Kalkulation machen, probieren Sie, es ist köstlich“, meinte sie.
Wenn sie nur daran sterben würde, hoffte ich.
Ihr Mund wurde zu einer fleischfressenden Tulpe. Sie ging rückwärts schreitend vom Buffet und ich muss noch eine Weile dagestanden haben wie ein entlassener Dienstbote. Mein Herz klopfte bis in den Schädel. Ich hielt mich aufrecht und achtete auf meine Lippenspannung, um nur ja nicht durch Ekel zu verraten, dass das Beef Tatar aus Fleischabfall hergestellt war.
„Bitte“, sagte ich, „ich kann noch Tatar nachholen.“
„Schon längst geordert“, sagte die Chefin. „Übrigens, Ihr Pudel wird gegen meinen Rauhaardackel antreten. Morgen werden wir nämlich doch noch die Hundeversion
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