Schwestern der Angst - Roman
Engländerin mit einem Rollköfferchen und einer Begleiterin mit Krücken auf der Schwelle der sich automatisch öffnenden Tür erschien, blieb mir die Spucke weg. Dieses Mädchen, Anne, war meiner Marie wie aus dem Gesicht geschnitten. Die gleichen schwarzen Locken fielen über ihre schmalen Schultern. Die starken Augenbrauen, gezupft zu einem schwarzen Bogen, rahmten das Gesicht und festigten den klaren Blick. Die Darstellerin bewegte sich grazil und trotzdem kindlich, sie wirkte wohlbehütet, rein und frisch, weil sie es war. Die weiche Haut, die auf ein duftendes Nachtkissen schließen ließ, auf das dieses Kind sein Lockenhaupt zu betten gewohnt war, um in wohliger Sicherheit kühnste Abenteuer zu träumen, die stets gut ausgehen, strahlte glatt, opalfarben. Ich war vollkommen perplex über diese Unberührtheit. Diese Haut zu diesen Lippen, die noch nie von männlicher Zunge abgeleckt worden waren, verleitete mich zu dem perversen Wunsch, das Kind ausgiebig auf den Mund zu küssen, wie es meine Mutter getan hatte. Diese unschuldige Haut zog mich in ihren Bann, am liebsten hätte ich das Kind untersucht, um mich an seiner Unversehrtheit zu ergötzen.
Anne war in Begleitung einer älteren Frau. Anne hatte sich um ihre Nanny auf Krücken zu kümmern. Als mich das Kind entdeckte, genauer seinen Namen auf meinem Schild entdeckte, steuerte es auf mich zu, mit seiner Nanny im Gefolge. Die ganze Zeit über hatte ich mich mit dem Schild beschäftigt, konnte aber nun den Namen nicht aussprechen. Ich wirkte unvorbereitet. Mit der Zeigefingerspitze fuhr Anne Buchstabe für Buchstabe ihren Namen auf meinem Papier entlang und versuchte die Konsonantenhäufung zusammenzulauten. Anne war ein Mischlingskind, ihre Mutter Engländerin, der Vater ein Mongole. Sie war eine exotische Schönheit und ihr Name schwer auszusprechen.
Die Betreuerin war erstaunlich freundlich, auch zu mir. Ich übernahm das Gepäck und wir verließen die Halle in Richtung Taxistand. Ich hob den Blick hinauf in den Novemberhimmel und das Gesicht den Regentropfen entgegen, die auf mich herabnieselten. Ich hielt die Augen offen und stierte hinauf, als suchte ich den Punkt, an dem das Himmelszelt hängt. Wir nahmen einen Van für die Fahrt in die Stadt.
Im Wagen drückte ich mich ganz nah an Anne in den ledernen Rücksitz. Wir fuhren an Hinterhöfen vorbei. Kein Garten, in dem das Gerippe einer Hollywoodschaukel fehlte. „Der Regen wird sich nicht lange halten“, sagte der Chauffeur, „aber jetzt sorgt er für anhaltenden Stau.“ Der Chauffeur drehte sich um, während er erklärte, welche Route er in die Stadt wählen würde.
Anne streckte ihren Arm aus und packte die am Boden stehende Tasche, zog einen Folder heraus. Sie zeigte mir ihre Sedcard mit der Liste der Filme, in denen sie mitgewirkt hatte. Auf der ersten Seite des Folders waren die geheimnisvollen Augen einer verschleierten Frau zu sehen. Nicht jedes Augenpaar wies eine derartige Magie auf wie Annes Iris. Lupenreine Brillanten. Natürlich retuschiert. Der Schleier ist ein leeres Zeichen. Es hängt ganz davon ab, wie er gesehen wird und was man hineinschreibt, aber auch, wie jemand aus ihm herausschaut, aus dieser Wechselwirkung entsteht die erotische Spannung.
Annes Augen warben für eine Wimperntusche. Sie war stolz auf ihre Produkte und ich legte ihr meine schlanke Hand auf den schmalen Kinderschenkel und begriff dieses Wunder der Natur mit meinen muskulösen Fingern, begierig, den Körper in seiner Kinderrolle aufzuspüren und in sie zurückzuschlüpfen, um nachzuholen, was mir versagt geblieben war. Anne lächelte unsicher. Die Betreuerin hatte einen strengen Unterton, als sie sagte: „Lerne deinen Text“, was ich sofort auf mich bezog, als hätte sie bemerkt, dass ich Anne begrapschte. Ich nahm die Pfoten vom Schenkel. Anne schlug den Folder zu. Sie war sofort wieder zutraulich. Sie zuckte nicht mit der Wimper, als ich ihr wieder meine Hand entgegenschob und nun mit den Fingerspitzen den Unterarm entlangkroch, um ihr den Folder abzunehmen.
Aus welcher Zeit stammte dieser Schleier-Spot? Anne sei doch noch zu jung, um Wimperntusche aufzutragen, sagte ich und näherte mich mit befeuchteten Lippen ihren sagenhaften Augen. Anne war verführerisch. Es galt, ihr bewusst zu machen, was ich seinerzeit bei Marie verabsäumt hatte. Am besten durch einen sanften sexuellen Übergriff, der ihr für alle Zeiten den leichten Ekel vor körperlichen Wonnen eintreiben sollte. Doch die Betreuerin war
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