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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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Kopf vor und platzierte den Schädel auf dem Kissen, stieß mich mit den Zehen vom Boden ab und streckte die Beine, drehte mich wie ein Stundenglas einfach um. So floss alles rückwärts. Im Kopfstand lösten sich die Organe, senkten sich federnd in die Gegengewichtung. Die Blutkörperchen rieselten zum Herzen. Mein Herz klopfte nicht, es schaufelte. Um es zu entlasten, schlief ich manchmal im Kopfstand. Ein Ruhekissen verschafft ein gutes Gewissen. Den Schlaf hatte ich als kleinen Bruder des Todes adoptiert, Ungeduld als die kleine Schwester des Lebens.
    Da läutete das Mobiltelefon in meiner Handtasche. Eine unbekannte Nummer. Vermutlich Roberts Tochter, die nach mir fragte, mich suchte, mir sein Unglück mitteilen wollte. Seine Tochter war eine Klette. Ich würde zurückrufen und ihr sagen, sein tödlicher Unfall täte mir leid, doch ich hätte ihn schon vor einiger Zeit verlassen, der soziale Tod hätte uns schon geschieden, der leibliche würde mich und sie höchstens im Mitgefühl wieder vereinen.
    Die Fenster glotzten mir nach. Ich drehte mich im Kreis. Es gab keinen anderen Ausweg als abzurechnen und mich für alle Zeiten von Marie zu befreien. Ich ging in die Küche, öffnete die Lade, prüfte das Besteck. Da sah ich unter der Plastikeinlage des Besteckes ein Kuvert durchschimmern. Wie war es in die Bestecklade geraten? Auf dem lilafarbenen Umschlag stand mein Name, meine Adresse.
    Viele Jahre hatte ich Marie entbehrt und nun zitterten meine Hände, ihre Botschaft nur ertasten und nicht erfahren zu dürfen. Der Schwung ihrer Schrift schien mir, als hätte sich Marie gefreut, meinen Namen zu schreiben. Sie begriff mich also doch noch als Familie. Ich war mir plötzlich egal, ich wirbelte durch die Abwesenheit meiner Schwester.
    Ich holte das Messer aus der Tasche und ritzte die Kante des Umschlages auf. Eine persönliche Hochzeitsankündigung segelte heraus. Ich war eingeladen, und noch dazu galt: Die Hochzeitsanzeige war nicht veraltet, sondern brandaktuell und bezog sich auf übermorgen. Wieso hatte Marie den Brief an mich nicht abgeschickt? Oder musste die Frage lauten: Wieso hatte Paul den Brief nicht abgeschickt, sondern in der Bestecklade versteckt?
    Ich schlug das Billet auf. Fünfhundert Euro lagen da bereit zwischen Deckblatt und Einladung. Was glaubte Marie von mir? Dass ich Geld brauchte? Keine liebevollen Worte, nicht einmal eine Widmung? Dafür Geld?
    Natürlich weil sie sicherstellen wollte, dass ich auch wirklich zur Hochzeit kommen würde. Marie hatte mir meinen zugegebenermaßen üblen Streich in Griechenland verziehen. Sie wusste, dass ich nicht reich war.
    Ich war gerührt. Als sich das Schwarz in mein Auge drängte und sich mein Auge auf ihre Schrift einschärfte, erfuhr ich, wie wunderbar es ist, in ein großes Ganzes eingelassen zu werden.
    An ihrem Schreibtisch, in ihrem Wohnzimmer, in ihrer Abwesenheit saß ich, legte die Hände in den Nacken und glotzte durch das Fenster auf die Fassade des gegenüberliegenden Golgathas der Fensterkreuze. Blaues Fegefeuer zuckte hinter den Scheiben, sprang um, setzte aus und ein.
    Wie sollte nun mein Leben weitergehen?
    Jetzt, sagte ich mir und gab mir einen Ruck, ging vom Schreibtisch weg, zog mir die Schuhe an und schnappte das Portemonnaie, steckte es in die Tasche und machte mich auf den Weg, Marie von Paul zu entbinden.

VI
    Maries Hochzeitsanzeige lotste mich nach Paris. Die Aussicht, ihre Ehe mit Paul zu verhindern und damit weiteres Unglück, erlöste mich von jeder Schuld. Ich hatte es ein Mal geschafft, die Vermählung zu verhindern, also würde ich es auch ein zweites Mal schaffen.
    Am Flughafen war der Teufel los. Reisende drängten sich in mit roten Bändern markierten Gängen vor den Schaltern. Ich hatte keine Zeit zu verlieren und ging direkt zum Schalter der Air France. Der Mann dort sagte, ich möge zurücktreten und warten, bis ich an der Reihe sei. Ich hätte dem Herrn freundlicher kommen sollen. Ich stehe zwar ungern Schlange, aber ich krieche nicht. Schließlich stellte ich mich doch wieder an.
    Ich ließ meinen Blick durch die Halle schweifen, weit hinten konnte ich den legeren Mantel und den Hut des Kommissars entdecken, der mit eiligen Schritten die Halle durchquerte. Verfolgte mich dieser Typ? Ich ahnte, dass man mich jagte. Vielleicht war man mir wegen Robert auf die Schliche gekommen. Ich beschloss, sicherheitshalber meine Destination zu wechseln, und kaufte umstandslos ein Ticket nach Brüssel und beschloss, über Brüssel

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