Schwestern der Angst - Roman
drehen.“
Ich war allein unter dem Dach im Büro. Dunkelheit, Stille. Der Regen rieselte auf die Schrägfenster wie Grieß. Der Köter der Chefin schlief eingeringelt in seinem Körbchen. Ich kalkulierte die Kosten für die Animation des Medizinfilms. Die Fachzeitschrift lag auf dem Pult. Der Rauhaardackel knurrte, als ich mich aufsetzte, und kläffte bedrohlich, als ich meine Hand nach Maries Interview ausstreckte. Ich hatte genug von diesem Tyrannen, schnappte den Brieföffner, hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefingerkuppe fest, holte aus, zielte und feuerte ihn wie einen Pfeil auf die Stirn des Rauhaardackels. Jäh jaulte er auf, sprang vom Schmerz getroffen aus dem Körbchen und verkroch sich knurrend unter dem Schrank. Ich knipste das Licht an, rechnete. Dann erst griff ich zur Broschüre und las die Funktionsweise des Medikamentes nach.
Der Regen prasselte stärker, das Licht fokussierte ich spitzer, so dass die Konturen des Mobiliars im Dunkel umrisshaft schimmerten und das Zentrum der Helligkeit auf das Magazin fiel. Der Rauhaardackel knurrte wieder, diesmal resignierend. Er spürte sein Ende. Ich blätterte. Der Pudel fiel mir ein, seine Chance als Fernsehhund würde steigen, wäre der Rauhaardackel weg. Ich lauschte. Ich hörte seinen Atem. Ich blätterte und schlug die Seite auf. Marie und Paul. Paul und Marie. Paul mit einem Bart, grau, wie struppiges Fell.
Vielleicht witterte der Hund meinen Drang, mich ein für alle Mal aller Probleme zu entledigen. Er winselte, als nähme er schweren Herzens ein Opfer auf sich. Nur ich wusste, welches. Ich erfuhr eine Welle der Erleichterung, als ein Teil von mir sich löste, mich sitzen ließ, als wäre ich das gute Gewissen, das nun wie gelähmt zusehen musste ohne eingreifen zu können, während der andere Teil wie außer mir und ein Killer, angeleitet zur Tat, unbeirrbar lossteuerte. Mein Körper glitt vom Sessel auf den Boden und kroch auf allen Vieren zum Schrank, streckte seinen Arm aus und fischte nach dem Hund. Der Hund sträubte sich nicht, es gab keinen Kampf. Die dunkelbraunen Augen glänzten traurig und der Rauhaardackel knurrte noch einmal, bevor er die Äuglein schloss. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann war er tot.
Mein Körper kroch auf allen Vieren rückwärts, richtete sich auf und setzte sich wieder hin, verschmolz mit mir. Dann atmete ich mit Erschauern weiter und schaltete kurz darauf das Licht aus, nur um nicht zu sehen, was mein Körper angerichtet hatte. Der Hund war mausetot.
Ich schob den Kadaver mit dem Fuß ganz nach hinten. Dann machte ich mich auf den Weg, um ein neues Kleid für Anne zu besorgen, doch mein Körper führte mich in Maries Wohnung, praktisch an den Anfang der Geschichte.
Nun lag ich also wieder auf der zurückgelassenen Matratze in Maries verlassener Wohnung. Über mir Schritte. Links von mir durch die Wand der billige Konserventon einer Maschinengewehrsalve, satt, trocken, repetitiv. Rechts von mir die Tür zum weiten Flur, so lautlos, dass nur die Fliesen ihre kühle Materialität hauchten. Vor mir das Fenster, vor dem Fenster ein Gurren. Das Fenster und die Tauben.
Ich schob das Rollo zur Seite und knallte mit der Faust gegen das Glas, verjagte die Tauben. Für einen Augenblick glaubte ich, meine traurige Gestalt da unten stehen zu sehen. Aber nur irgendein Mann stieg da im Trenchcoat herum. Blaulicht streifte durch das Schlafzimmer. Ich hatte mich entschlossen, die Nacht in Maries Wohnung zu verbringen.
Sie hatte hier vermutlich schlecht geschlafen, versucht, Erklärungen für mein Verhalten zu finden. Die Gliedmaßen waren ihr schwer wie Sandsäcke gewesen, und Morpheus hatte sie über die Schwelle in Träume gerumpelt. Wenn sie erwacht war, war sie wie gerädert gewesen, als wäre ich auf ihr gelegen, auf ihrem Brustkorb gesessen, was ihr den Atem nahm, als hätte ich sie gejagt, als hätte sie sich die halbe Nacht durch irgendein Dickicht geschlagen oder wäre steil bergauf gegangen, um aus der Unterwelt ans Tageslicht zu gelangen. Und kaum hatte sie einen Ton von sich gegeben, hatte ich ihr das Maul zugeklebt.
Ich starrte zur Zimmerdecke, drehte den Kopf zur Seite und fixierte das Fenster. Hörte Gekreische aus der Gasse. Schritte. Ein Polizeiwagen stand unten vor dem Hintereingang des Bekleidungsgeschäfts. Das Blaulicht spiegelte sich in den schwarzen Scheiben und ein Herr mit breiten Schultern bediente die Tastatur eines Handys. Ich fasste den Herrn mit den breiten Schultern ins Auge. Er schob den
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