Schwestern der Nacht
hatte ein Mädchen bei sich — eine Kunststudentin, die er vor etwa einer Woche kennengelernt hatte.
Auf seinem Kopf saß ein in den Nacken geschobener Filzhut, die Knöpfe seines Mantels standen offen. Seine Hände waren tief in den Taschen vergraben. Honda war diesmal Korrespondent der London Times und traf sich heute zum drittenmal mit dem Mädchen — das Mitsuko Kosugi hieß —, weil er schon vermutet hatte, daß sie eine harte Nuss sein würde, und er sich Zeit genommen hatte. Er mußte Heiligabend wieder in Osaka sein, also war heute die Nacht der Nächte. Deshalb ließ er sie keine Sekunde aus den Augen und wog sorgfältig ab, wie er am besten vorgehen sollte.
Mitsuko blickte hinab auf die nächtliche Stadt, die wie mit Edelsteinen behangen schien. Ihre Augen glänzten; sie trug kein Make-up, und die Unregelmäßigkeiten ihres Gesichts traten deutlich hervor. Ganz im Gegensatz dazu stand ihr verschwenderisch entwickelter Körper; sie strahlte eine gewisse Unreife aus, die Honda ungemein anziehend fand. Mitsuko war erst neunzehn; es war schon einige Zeit her, daß er sich an einer so jungen Frau ergötzt hatte, und er war fest entschlossen, sie nicht entwischen zu lassen.
Kennengelernt hatte er sie im Nationalmuseum für westliche Kunst, wo sie gerade eine muskulöse Männerstatue skizziert hatte. Es gehörte zu Ichiros Gewohnheiten, zwei- oder dreimal im Monat ein Museum zu besuchen, weil sich diese als ergiebige Jagdreviere herausgestellt hatten. Er hatte ihr Werk gebührend bewundert und sich dann als Auslandskorrespondent vorgestellt. Anschließend waren sie in die Teestube des Museums gegangen, wo er seinen Tee und Kuchen auf tolpatschig ausländische Art und Weise verzehrt und herausgefunden hatte, daß ihre Schule momentan wegen Ferien geschlossen war. Es war ihm gelungen, sie zu überreden, ihm Tokio zu zeigen. Am folgenden Tag hatte sie ihn wider Erwarten nicht zu berühmten historischen Schauplätzen oder landschaftlichen Besonderheiten, sondern in ein Kabuki-Theater und auf eine Busfahrt zu den Kabaretts von Yoshiwara und Akasaka entführt. Heute abend hatten sie Fisch gegessen und sahen sich jetzt gerade den Tokio-Tower an.
Honda hatte ihren Ausführungen während der Busfahrt begierig gelauscht, konnte jedoch nicht anders, als gleichzeitig die hübsche Schaffnerin anzugaffen. Sie hatte volle Brüste und einen kessen Hintern; daß sie seine Blicke bemerkte, machte ihm nicht das geringste aus. Im Kabuki-Theater stellte er die Reaktion seiner neuen Freundin auf die Probe und legte eine Hand auf ihr Knie. Sie ignorierte es und widmete ihre Aufmerksamkeit voll und ganz dem Bühnengeschehen. Ob das wohl ihre Masche war — ganz unbeteiligt bleiben, wie weit sich ein Mann an ihrem Körper auch vortasten mochte? Die Vorstellung stimulierte ihn.
Und dann hatte er sich ganz plötzlich verkrampft und auf englisch »Wie gräßlich!« gebrummt.
»Was ist los?« wollte sie wissen und sah ihn neugierig an.
»Ach, nichts«, gab er mit aufrichtiger Verlegenheit zurück. In Wahrheit hatte er sich unvermittelt an eine Szene in einem amerikanischen Theater erinnert, wo er unglaublich scharf auf eine Weiße in schwarzen Strümpfen gewesen war. Warum fiel ihm das ausgerechnet hier in einem Kabuki-Theater ein? Und was war damals nur in ihn gefahren, sich so nach einer Weißen zu sehnen — hatte es schlicht und einfach an seinem asketischen Studentenleben gelegen? Oder war es, trotz allem, nur natürlich, in dem Alter solche Anwandlungen zu haben? Selbstverständlich war es das, sagte er sich und beruhigte sich wieder. Wozu jetzt noch einen Gedanken daran verschwenden? Er lächelte ihr beschwichtigend zu.
»Gar nichts.«
Wenig später lag seine Hand erneut auf ihrem Knie, rutschte ein bißchen höher hinauf — während er das Gefühl unerfüllbaren Begehrens auskostete...
Jetzt standen sie hier auf dem Tokio-Tower, und die Schulmädchen waren endlich mit dem Teleskop fertig, so daß sie es benutzen konnten. Die Mädchen verschwanden, in einem Provinzakzent schnatternd, und er schob Mitsuko auf das Fernrohr zu. Weit und breit war keine Menschenseele.
»Möchtest du mal einen Blick riskieren?« fragte er sie, schob eine Hand in die Tasche und holte eine Münze heraus.
»Ja, gern! Ich bin gespannt, was wir zu sehen kriegen! « Sie lief hinüber, Ichiro folgte ihr und steckte die Münze in den Schlitz. Dann legte er eine Hand auf ihre Schulter und rückte mit seinem Gesicht dicht an ihres heran, als ob er die
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