Schwestern der Nacht
Verlangen nach einer Frau, aber er brauchte unbedingt etwas, um die Leere zu vertreiben, die er auf seinem einsamen Marsch durch die nächtliche Straße empfunden hatte.
Nach einigen Schwierigkeiten hatte er das Haus schließlich wiedergefunden und landete im vorderen Hof, der von Abwässern überschwemmt war. In der trüben Beleuchtung konnte er Unterwäsche auf einer Leine im Wind flattern sehen, die jemand offensichtlich vergessen hatte hereinzuholen. Die Wäschestücke schaukelten in der Finsternis wie weiße Geister.
Im Innern erwartete ihn das Treppenhaus, dessen düsterer Schlund ihn verschlang.
2
Zögernd und leise klopfte er an Fusako Aikawas Tür, doch nichts rührte sich. Zuletzt hatte er sie schlafend gesehen, den Saum ihres Negligés bis über die Brüste hinaufgerutscht; das laszive Bild stand ihm deutlich vor Augen. Wie bezaubernd sie ausgesehen hatte! Er preßte sein Ohr an die Tür und horchte. Dahinter blieb alles still.
Er war insgesamt dreimal in dieser Wohnung gewesen. Beim erstenmal hatte Fusako ihn mitgenommen, doch danach war er immer spontan und ohne Vorwarnung aufgekreuzt; sie hatte sich jedesmal gefreut, ihn zu sehen, auch wenn es bereits ein Uhr nachts war. »Komm, wann immer du magst«, hatte sie den jungen algerischen Studenten aufgefordert. Ein Beschützerinstinkt ging von ihr aus, der sich stark von den Gefühlen unterschied, die ihm seine anderen Opfer entgegenbrachten. Er gab ihm ein sonderbares Gefühl der Geborgenheit.
Er schaute auf seine Uhr; schon zehn vor drei. Um die anderen Hausbewohner nicht zu stören und dadurch ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, klopfte er noch einmal an — immer noch nichts. Es war spät; vielleicht schlief sie ja sehr tief. Er beschloß, nach Hause zu gehen, doch dann überkam ihn der gleiche Instinkt, der einen dazu verleitet auszuprobieren, ob die Tür eines leerstehenden Hauses möglicherweise unverschlossen ist, und er drehte am Türknauf. Es war nicht abgesperrt, und er trat ein.
Das Zimmer war von einem eigenartigen, irgendwie abgestandenen Geruch erfüllt, der an Krankenhausformalin erinnerte, süßlich und säuerlich zugleich. Er machte Licht und sah Fusako Aikawa auf dem Bett liegen, splitterfasernackt, die Beine leicht gespreizt, die Hände an den Seiten. Sie lag auf dem Rücken, ihr Kopf war auf die Seite gekippt. Konnte es sein, daß sie bei dieser Kälte ohne ein Stück Stoff auf dem Leib schlief?
Er trat langsam näher und blieb neben ihr stehen. Ihr geschwollenes Gesicht war violett verfärbt, ein roter, etwa gürtelbreiter Streifen zog sich um ihren Hals. Sie war offenbar erwürgt worden. Er legte seine Hand auf ihren fleischigen Bauch; er erschien ihm unglaublich rosa, und einen Moment lang glaubte er sogar, ihn sich heben und senken zu sehen. War es wirklich möglich, daß sie tot war? Doch daran bestand nicht der geringste Zweifel.
Er trat brüsk zurück, fühlte sich in der gleichen Sekunde jedoch trotz seines Grauens von fleischlichen Gelüsten wieder zu ihr hingezogen. Hastig floh er vom Bett, machte das Licht aus und damit dem Anblick des nackten Körpers ein Ende. Während er die Treppe hinunterschlich, wurde ihm bewußt, daß er einen kurzen Augenblick versucht gewesen war, Fusakos Leiche zu schänden. Er wäre tatsächlich zu einer derartigen kaltblütigen Tat imstande gewesen.
Aber trotzdem, dachte er... wer, in aller Welt, mochte Fusako Aikawa in eine so kompromittierende Stellung gebracht haben? Welchen Kerl außer ihm hatte sie in ihre Wohnung gelassen? Er fühlte sich, als hätte die Tote ihn irgendwie betrogen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, daß Fusakos Tod ein weiterer Schritt auf seinem Weg ins Unglück war.
Er ließ die Wohnung mit schnellen Schritten hinter sich; mehrere Minuten lang begegnete er keiner Menschenseele. Dann kam er zu einer hell erleuchteten Kreuzung, an der ein Polizist stand. Sie wechselten einen Blick, doch Ichiro sagte nichts, und der Gesetzeshüter tippte nur zweimal mit der Taschenlampe, die er in seiner Rechten hielt, gegen die linke Handfläche und marschierte ebenfalls wortlos an ihm vorbei. Honda hatte nicht die Absicht, ihm von dem Mord zu erzählen, den er soeben entdeckt hatte.
An der Olympic Street hielt er ein Taxi auf und bat den Fahrer mit tiefer, deprimiert klingender Stimme, ihn nach Yotsuya Sanchome zu fahren. Wie er so auf dem Rücksitz saß und der Wagen beschleunigte, kam ihm plötzlich in den Sinn, daß Fusako Aikawas Tod eine gewisse Ähnlichkeit mit der
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