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Schwestern der Nacht

Schwestern der Nacht

Titel: Schwestern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masako Togawa
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ihn hin, während sie Tee kochte. Er erhob sich und stand unbeholfen da; wie unerfahren er sein mußte! Sie holte zwei zusammengerollte Matratzen, zwei Bettdecken, saubere Laken und Kissenbezüge aus dem Schrank und machte die Betten. Die ganze Zeit über redete sie sich gut zu — es war wirklich nichts dabei, friedlich neben einem Mann zu schlafen, außerdem würde sie ohnehin die ganze Nacht kein Auge zu tun. Als sie fertig war, rief sie ihn zu sich.
    »Bringen Sie den Heizlüfter mit. Er wird Sie warm halten; in Japan ist es viel kälter als bei Ihnen.« Das war wohl das mindeste, was sie jemand aus einem fernen Wüstenland anbieten konnte.
    Der Mann stierte sie mit glühenden Augen an. »Wenn er mich begehrt«, dachte sie trunken, »soll ich ihm alles geben?« Er begann sich langsam auszuziehen. Sie ging zu ihm hinüber, um ihm die Sachen abzunehmen, und fand sich in einer engen Umarmung wieder. Wie stark seine Arme waren, wo er doch so still aussah! Algerier waren sicher anders. Sie bekam es kurzfristig mit der Angst und wehrte sich, doch dann küßte er sie. Sie fielen aufs Bett, ihr Widerstand erlahmte. Sie gab sich ihm hin.
    Der Mann nahm sich viel Zeit, er schien jeden Zentimeter ihres Körpers auszukosten. Machte man das so in Algerien? Es brachte sie einen Moment lang aus dem Konzept, aber dann verschwand ihr Mißtrauen und verwandelte sich in Vergnügen, als sie seine Lippen über ihren Körper kriechen spürte. Sie roch seinen Schweiß; er verströmte den Duft der nordafrikanischen Wüste, die sie vor wenigen Stunden im Kino gesehen hatte. Sie wurde in ein primitives Land entführt, wurde zum Tier, ergab sich.

4
    Gegen fünf Uhr morgens drehte sich Ichiro Honda im Bett auf die andere Seite und berührte dabei einen nackten Frauenkörper. Die Frau schlief weiter, aber er war wach.
    Im ersten Moment wußte er nicht, wo er war, dann fiel ihm ein, daß er sich in der Wohnung der Frau und nicht in seinem Bett im Toyo befand. Er hielt seine linke Hand vor die Augen und schaute auf seine Uhr. Das Datum hatte sich geändert; also schon Morgen, dachte er. Vorsichtig, um die Schlafende neben sich nicht aufzuwecken, schlüpfte er unter der Bettdecke hervor.
    Die eisige Luft traf wie ein Hieb auf seine nackte Haut; sie wehrte sich mit einer Gänsehaut. Er rieb sich kräftig über Brust und Schultern und zog sich rasch an. Neben dem Bett brannte immer noch ein kleines Lämpchen. Er sah sich im Zimmer um. Auf dem Schreibtisch stand eine Reiseschreibmaschine; Ichiro überlegte einen Moment, spannte dann ein Blatt Papier ein und begann langsam zu tippen. Er behielt die Frau dabei im Auge, um festzustellen, ob der Anschlag der Typen sie störte, doch sie schlief ungerührt weiter. Ihr Gesicht lugte unter der Bettdecke hervor; es wirkte selbst im Schlaf erschöpft. Er ließ das Blatt, wo es war, glitt aus dem Raum in den kleinen Flur und wurde von dem säuerlichen Geruch der Wohnung überwältigt. Er symbolisierte für ihn eine unergründliche Melancholie, beschwor ein Gefühl herauf, das er vor vielen Jahren einmal in irgendeiner Wohnung in Chicago gehabt hatte. Er trat auf die Straße und sog die frische Morgenluft ein. Das Abenteuer der vergangenen Nacht zog ein erfrischendes Gefühl der Erleichterung nach sich, das allerdings nicht lange anhielt. Als er sich durch das neblige Gäßchen bis zur stark befahrenen Olympic Street vorgearbeitet hatte, war es bereits verschwunden.
    Er hielt ein Taxi an, ließ sich zum Meikei-So fahren, wo er sich umzog, und war gegen sechs Uhr früh wieder im Toyo. Der Mann am Empfang unterdrückte seine Neugierde und gab sich alle Mühe, ihn nicht anzuglotzen, als er ihm den Zimmerschlüssel überreichte. Honda dankte ihm knapp und stieg die Treppe hinauf.
    Den ganzen Tag über spürte er eine post-koitale Mattheit, während er mit der Arbeit voranzukommen versuchte. Sein Körper war angenehm träge wie nach einem guten Tropfen Wein. Am Abend fühlte er sich zu erschöpft, um auszugehen, und blieb im Hotel. Nach dem Essen setzte er sich auf ein Sofa an der Wand im Foyer und schmökerte in einer dicken Zeitungsmappe. Sein Blick glitt gerade über den Teil mit den Lokalnachrichten, als ihm eine Schlagzeile ins Auge fiel. Er las den zugehörigen Artikel sorgfältig durch: Es hieß dort, um zwei Uhr früh in der vergangenen Nacht sei eine alleinstehende Kassiererin in ihrem Apartment in Kinshibori erdrosselt worden. Name und Adresse kamen ihm bekannt vor; sie erinnerten ihn an eins seiner

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