Schwestern der Nacht
das einzige Geräusch an diesem finsteren, bedrückenden Ort. Höher und höher, sieben Stockwerke; seine Füße, völlig erschöpft nach diesem Tag, fühlten sich an wie Blei. Nach 18 Uhr wurden die Aufzüge abgestellt und die Lichter in der Halle gelöscht. Endlich kam er im siebten Stock an; er machte eine kurze Pause, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
Dann öffnete er die Tür zum Büro. Auch hier hatte sich die Dämmerung eingeschlichen. Mutsuko Fujitsubo, die Sekretärin seines Chefs, saß mit leerer Miene mutterseelenallein an ihrem Schreibtisch. Sie war ein bescheidenes, vom Schicksal benachteiligtes Geschöpf; auf ihrer Nase saß eine starke Brille mit breitem bernsteinfarbenem Gestell. Sie hatte vor zwei Jahren, gleich nach dem Abschluß am Junior College, hier angefangen.
»Hallo! Tut mir leid, daß es so spät geworden ist! Ist der alte Herr noch da?«
»Ja. Er liest den Bericht der Detektei.« Sie deutete resigniert auf eine Tür am anderen Ende des Zimmers.
Shinji wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und ging dann erfrischt in Hatanakas Büro. Das Mädchen folgte ihm, den Stenoblock in der Hand.
Der Alte streckte sich in seinem tiefen Sessel. »Wie man sieht, haben Sie hart gearbeitet.« Sein Ton war barsch, seine Stimme schien vor Trägheit zu ersticken. Shinji setzte sich, zog ohne weiteres Trara sein Notizbuch aus der Tasche und begann mit seinem Bericht. Das Mädchen beobachtete er dabei aus den Augenwinkeln, um sicherzugehen, daß sie mit dem Schreiben hinterherkam. Seine Stimme schien der einzige Laut in diesem schweigenden, finsteren Gebäude zu sein.
»Ich habe heute die Gespräche mit den Frauen auf der Liste zu Ende gebracht. Ich fand heraus, daß sie alle bereits von der Polizei vernommen worden sind und daß ihre Fragen in die gleiche Richtung zielten wie meine: Hat Ichiro Honda jemals versucht, sie zu erwürgen?«
»Und hat er?«
»Aus zwei der Damen war nichts rauszukriegen. Und auch was die anderen betrifft — Sie müssen zugeben, daß es nicht gerade eine alltägliche Frage ist. Aber von diesen dreien, die bereit waren zu reden. . . zwei verneinten es entschieden, und bei der dritten bin ich mir absolut sicher, daß nichts dergleichen vorgefallen sein kann.«
»Kein Wunder, daß sie von der Staatsanwaltschaft nicht in den Zeugenstand gerufen worden sind«, schnappte der Alte.
»Ja, aber weshalb nicht von der Verteidigung?«
»Weil die Idioten versucht haben, seine amourösen Abenteuer geheimzuhalten! Sie wollten verheimlichen, daß er ein Frauenheld war; ich bin selbstverständlich völlig anderer Meinung. Das Gericht, vor dem sich Ichiro Honda verantworten mußte, ist für das Recht, nicht für die Moral zuständig! «
>Genau meine Meinung<, stellte Shinji mit heimlicher Genugtuung fest. Laut sagte er: »Aber ich habe heute auch was Interessantes entdeckt. Michiko Ono, die bei einer Bücherei arbeitet, hat einen neun Monate alten Sohn und behauptet, Ichiro Honda wäre der Vater. Wenn wir sie ein bißchen bearbeiten, ist sie vielleicht bereit, zu seinen Gunsten auszusagen.«
»Und wie lange dauerte ihr Verhältnis mit Honda?«
»Nur einen Tag«, gestand Shinji verlegen, und der Alte stöhnte vernehmlich.
»Dieses Kind wird in dem Bericht der Detektei mit keinem Wort erwähnt. Warum hat sie ausgerechnet Ihnen davon erzählt?«
Shinji war klar, daß er Farbe bekennen mußte. »Na ja, ich kenne sie noch aus meiner Studentenzeit. Ich war eine Zeitlang in sie verliebt. Wahrscheinlich hat sie's mir deshalb gebeichtet.«
Der alte Mann schwieg. Die Sekretärin hielt ihren Schreiber still und versteifte die Schultern, um ihrem Erstaunen Ausdruck zu geben. Die Sonne war mittlerweile vollends untergegangen, das Licht der Schreibtischlampe so schwach, daß man kaum noch etwas sehen konnte. »Ich mache mal Licht«, verkündete Shinji in das Schweigen hinein. Er stand auf und ging zum Schalter; seine Bewegungen wirbelten die scheinbar erstarrte Luft im Zimmer durcheinander. Der Alte zündete sich gemächlich eine frische Zigarre an.
»Und hat diese junge Frau — wie hieß sie noch gleich?« Er warf einen Blick auf den Bericht, »Michiko Ono — hat sie die Absicht, Honda über das glückliche Ereignis zu informieren?«
»Sie sagt, das ginge ihn nichts an.«
»Vielleicht weil der Vater des Kindes eventuell ein Mörder ist?«
»Sie glaubt nicht, daß er ein einziges dieser Verbrechen begangen hat.«
»Ich frage mich, weshalb all diese Frauen derart von seiner
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