Schwestern der Nacht
tun?«
»Jeder auf dieser Liste hat die Blutgruppe AB rh-negativ.« »Die gleiche wie Ichiro Honda?«
»Stimmt genau. Was glauben Sie wohl, welcher Prozentsatz der Bevölkerung diese Blutgruppe hat?«
Shinji dachte an seine Studien in der Bibliothek. In dem Buch hatte gestanden, daß 15 Prozent aller Kaukasier rh-negatives Blut hätten, das Verhältnis bei Orientalen jedoch nur ein halbes Prozent betrüge.
»Eins zu zweihundert, wenn ich mich recht entsinne.«
Der alte Mann lächelte. »Nein, viel weniger. Sicherlich hat einer von zweihundert den Rhesus-Faktor, aber AB rh-negativ grenzt den Personenkreis noch wesentlich enger ein. Nur zehn Prozent der Japaner haben die Blutgruppe AB. Die Antwort auf meine Frage lautet also einer unter zweitausend.«
»Wie viele macht das dann für ganz Tokio?«
»Nun ja, wenn wir von einer Einwohnerzahl von zehn Millionen ausgehen, sind es fünftausend.«
»Wovon Sie sechs auf der Liste stehen haben?«
»Ach, fünftausend ist doch ein bedeutungsloser statistischer Mittelwert. Wie viele dieser Fünftausend wissen wohl, daß sie AB rh-negativ sind? In Kriegsjahren interessieren sich die Menschen vielleicht für ihre Blutgruppe, im Frieden ist das anders. Um ehrlich zu sein, ich weiß meine nicht mal.«
Shinji hingegen wußte, daß er Blutgruppe AB hatte. Er hatte in der Grundschule stets ein Schildchen mit seiner Blutgruppe getragen. Dies war eine seiner wenigen Erinnerungen an den Krieg. Doch seit damals hatte er nie wieder einen Anlaß gehabt, sie bestimmen zu lassen. Und überhaupt waren rh-negative Menschen erst im Lauf des Krieges entdeckt worden, als Bluttransfusionen gang und gäbe wurden. Heutzutage spielte es für die Leute eine Rolle, ob sie rh-negativ waren oder nicht, aber während seiner Schulzeit hatte man nichts darüber gewußt. Vielleicht war er sogar selbst rh-negativ.
Wenn das der Fall war und er kein Alibi für die Tatzeiten hatte, dann konnte auch er ein Verdächtiger sein.
»Selbst unter denen, die wissen, worunter sie im ABO-System fallen, sind nur wenige auch darüber informiert, ob sie rh-negativ sind«, fuhr Hatanaka fort.
»Und wie erfahren sie es?«
»Da gibt's zwei Möglichkeiten.«
»Na ja, wenn man eine Bluttransfusion braucht, erfährt man's wohl. «
»Und die andere Möglichkeit?«
Doch Shinji war mit seinem Latein am Ende. Der Alte lachte triumphierend und erklärte: »Diejenigen natürlich, von denen das Blut für die Transfusion stammt!«
»Sie meinen Spender? Und Leute, die ihr Blut verkaufen?« »Stimmt genau. Und ich rede nicht von frischen Transfusionen, sondern von Blutkonserven.«
»In Blutbanken?«
»Volltreffer. Und man bewahrt sein Blut nicht irgendwo auf und holt es sich, wenn man es braucht. Das meiste, wenn nicht alles Blutbank-Blut ist verkauft. Und die Banken wiederum besitzen Informationen über ihre Lieferanten.«
»Aha! Sie glauben also, sie könnten Listen von sämtlichen AB rh-negativen Spendern bei den Blutbanken bekommen?«
»Ja, und genau das habe ich getan — daher die Blätter in Ihrer Hand. Bei jeder Blutbank Tokios wurden Erkundigungen eingeholt. In den Unterlagen waren siebenundzwanzig rh-negative Personen aufgeführt, von denen sechs die Blutgruppe AB haben. Statistisch gesehen eine recht hohe Quote, aber bitte.«
Shinji dämmerte langsam, was der Alte im Sinn hatte. Es war bestenfalls ein Schuß ins Blaue, schlimmstenfalls ein gefährliches Spiel.
»Ich weiß, es klingt seltsam, aber immer wenn wir darüber sprechen, zwingt mich meine Fantasie, in die Haut des Verbrechers zu schlüpfen«, fuhr der alte Mann fort. »Ich versuche mir vorzustellen, ich wäre der Mörder, um seine Gedankengänge besser nachvollziehen zu können. Wenn ich Ichiro Honda belasten wollte, indem ich Blut seiner Blutgruppe am Tatort zurücklasse, wie würde ich das anstellen? Ich würde natürlich zu einer Blutbank gehen, um Leute aufzutreiben, die die Butgruppe haben, die ich brauche. Was glauben Sie wohl, habe ich als nächstes getan? Ich ließ bei sämtlichen Blutbanken nachfragen, ob dort im Lauf des letzten Jahres Erkundigungen über rh-negative Spender eingezogen wurden. Und wissen Sie was? Ich wurde fündig!« Es gelang ihm nicht, seinen Triumph zu verbergen.
Er nahm noch ein Blatt aus dem vor ihm liegenden Aktenordner. Shinji bewunderte wieder einmal die Sorgfalt, mit der sich sein Boss um jedes Detail kümmerte und die seinen guten
Ruf begründet hatte. Hatanaka zündete sich eine Zigarre an.
»Wie ich hörte«,
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