Schwestern Des Blutes
entschied, ins Ausland zu gehen, bis sich der Skandal gelegt hatte. Bisher hatte er natürlich noch nichts gehört, doch abgesagte Hochzeiten sorgten stets für Gerede.
Sobald er gewiss war, dass Villiers keine Bedrohung für Violet oder die Rexleys darstellte, würde er weiterziehen und sehr lange fort bleiben, vielleicht für den Rest ihres Lebens. Es war besser für alle, wenn er sich so fern von Violet hielt, wie er nur konnte.
Er warf die Decken beiseite, stieg aus dem Bett und schritt nackt durch das dunkle Zimmer zum Bad. Nachdem er sich gewaschen und angekleidet hatte, zündete er eine Lampe an, um ein wenig zu lesen. Lesen beruhigte seinen Geist und half, die letzten Stunden zu vertreiben, bis die Sommersonne im Westen versank. Als hätte er eine innere Uhr, wusste er genau, wann er sein Zimmer gefahrlos verlassen konnte.
Rechtzeitig zum Dinner begab er sich nach unten, doch Violet war nicht da.
»Sie hat sich ihr Essen mit auf ihr Zimmer genommen«, erzählte Eliza, deren Blick keinen Zweifel daran ließ, wer ihrer Meinung nach für Violets Ungeselligkeit verantwortlich war.
Er konnte nichts sagen, das den Zorn der Freundin mildern würde. Nichts, das alles wiedergutmachen könnte. Folglich blieb ihm nur die Hoffnung, dass Eliza und vor allem Violet ihm zu vergeben lernten.
Andererseits hatte Violet gestern Abend nicht den Eindruck erweckt, sonderlich traurig zu sein. Sie hatte ihm sogar gedankt. Also warum mied sie ihn jetzt?
Während des gesamten Abendessens nagte diese Frage an ihm. Er aß, weil es ihm ein Gefühl von Normalität und Gewohnheit gab, nicht weil er es gebraucht hätte. Was ihn nährte, würde er sich später holen, wenn er sich unbemerkt hinausschleichen konnte.
Doch ehe er verschwand, musste er mit Violet sprechen. Im Verlauf des Abends wurde Payen beständig unruhiger. Was, wenn etwas nicht stimmte? Könnte Villiers versucht haben, Violet zu kontaktieren? Oder planten die beiden gar durchzubrennen?
Das war natürlich ein abwegiger Gedanke, denn Violet schien gestern erleichtert gewesen zu sein. Doch er hatte sich schon häufiger von vermeintlich »ehrlichen« Damen täuschen lassen. Falls Violets Verhalten also darauf abzielte, ihn hinters Licht zu führen, war es ihr gelungen.
Sollte sie tatsächlich mit Villiers durchbrennen, würde Payen ihr verdammt noch mal folgen, bis ans Ende der Welt, falls nötig, und sie zurückbringen. Und er würde Villiers eigenhändig den Kopf abreißen.
Die Vorstellung, dass sie weglaufen könnte, machte ihn noch unruhiger. Vor seinem geistigen Auge sah er sie vor sich, wie sie mit Villiers lachte, ihn küsste, sich von ihm berühren ließ. Und diese Bilder quälten ihn übler, als es jeder Gegner hätte tun können. Schließlich lief er im Salon auf und ab wie ein wildes Tier in einem Käfig, drauf und dran, jemanden anzufallen.
Eliza, die ihn skeptisch beobachtete, verkündete gegen elf Uhr, dass Henry und sie sich zurückzögen. Henry machte Anstalten, ihr zu widersprechen, doch ein Blick seiner Frau reichte, dass er es bleiben ließ. Mitfühlend sah er zu Payen. »Gute Nacht, alter Knabe.«
Unweigerlich musste Payen schmunzeln. Er entsann sich nicht, dass ihn in dieser Familie jemand schon einmal anders als »alter Knabe« genannt hatte. »Gute Nacht, Henry, Eliza.«
Sie nickte nur. Dann aber, als sie bereits dabei war, hinter ihrem Mann den Salon zu verlassen, drehte sie sich noch einmal um und sah Payen mit einem Blick an, der Feuer hätte gefrieren lassen können.
»Sie bat mich, nichts zu sagen, aber ich finde, dass du es wissen solltest. Dein kleines Spektakel gestern Abend hat Violets Reputation unwiderruflich beschädigt. Die Schandmäuler verbreiten, ihr beide wärt ein Liebespaar, und unabhängig davon, wie wahr es einst gewesen sein mag, muss sie nun deshalb leiden. Ich hoffe bei Gott, dass du recht hast, was Rupert betrifft, denn sie ist ruiniert, Payen. Das Schlimmste ist jedoch, dass du alles wieder in Ordnung bringen könntest, und ich weiß, dass du es nicht tun wirst. Und Violet weiß das auch.«
Mit diesen bitteren Worten, die schmerzten wie tausend zornige Wespenstiche, ließ sie ihn stehen. Voller Scham und vor allem Reue starrte Payen auf den leeren Türrahmen.
Kein Wunder, dass sie nicht zum Essen erschienen war. Was immer sie gestern Abend noch an freundlichen Gefühlen für ihn gehegt haben mochte, durfte sich inzwischen restlos verflüchtigt haben.
Aber es war besser so. Dass sie ihn verachtete, machte es
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