Schwestern Des Blutes
Carr!«
Violet sah sie verwundert an. »Warst du in der Stadt?«
Ihre Ziehmutter nickte, immer noch atemlos. »War ich.«
»Obwohl Henry dir ausdrücklich gesagt hat, dass du lieber im Haus bleiben sollst? Wenn du mich fragst, Eliza, hast du den Ärger gesucht und gefunden.«
»Nein, er hat mich gefunden«, verteidigte sich Eliza. »Ich war im Handschuhladen, weil ich ein neues Paar grauer Handschuhe brauchte, da kam Mrs. Randall auf mich zu, dieses unleidliche Frauenzimmer.«
Sarah machte große Augen angesichts Elizas scharfen Tons, während Violet sich ein Lächeln abrang. »Sie konnte es nicht abwarten, etwas zu sagen, stimmt’s?«
Eliza schüttelte den Kopf und zupfte ihre Hutnadel heraus. »Was für ein furchtbares Klatschmaul!«
Violet verschränkte die Arme vor der Brust. »Und, was sagt man in der Stadt? Bin ich ruiniert?«
Elizas Arme fielen vor lauter Hilflosigkeit völlig erschlafft herunter. Sie sank niedergeschlagen auf einen Stuhl neben Sarah und hielt ihren Hut auf dem Schoß. »Ja.« Sie blickte zu Violet auf. »Ich bin sicher, dass Rupert nichts damit zu hat, aber Payens überraschende Ankunft hier und seine abrupte Abreise vor fünf Jahren … Die Klatschmäuler sind überzeugt davon, dass ihr beide eine Liaison habt und Rupert deshalb die Heirat abgesagt hat. Es tut mir so leid, meine Liebe.«
Ruiniert. Wie seltsam sich das Wort in Violets Kopf anhörte. Ruiniert bedeutete, dass etwas irreparabel beschädigt war. Violet fühlte sich nicht irreparabel beschädigt.
Eliza kam zu ihr. »Wir gehen nach Frankreich oder Italien. Dort wirst du jemanden kennenlernen, oder zumindest legt sich in der Zwischenzeit der Skandal.«
Violet schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht weg. Noch nicht.«
»Aber Liebes …«
»Nein, Eliza«, sagte sie scharf, keinen Widerspruch duldend. »Soweit ich weiß, sind zwei Menschen nötig, um eine Frau zu ruinieren. Payen Carr ist mir etwas schuldig. Vor fünf Jahren habe ich ihn davonkommen lassen, aber diesmal läuft er mir nicht weg.«
Offenbar gefiel Eliza ihr Gesichtsausdruck gar nicht. »Violet, was hast du vor?«
»Payen gehört mir und ich ihm«, antwortete sie so selbstgewiss, dass ihre Worte nicht so melodramatisch klangen, wie sie es sonst getan hätten. »Und es wird Zeit, dass er es begreift. Ich werde diesen Va…, Mann heiraten, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
4
A ls Payen am späten Nachmittag aufwachte, war sein erster Gedanke, dass Eliza ihre Drohung, die Vorhänge in seinem Zimmer aufzuziehen, nicht wahrgemacht hatte.
Der zweite galt Violets Kuss von gestern Abend, der sich auf alle Zeiten in sein Gedächtnis eingebrannt hatte.
Warum sollte eine Frau, deren Heirat soeben vereitelt worden war – um es milde auszudrücken –, den Mann küssen, der sich dafür verantwortlich zeichnete? Und die Dinge, die sie gesagt, und die Fragen, die sie gestellt hatte. Was zur Hölle dachte sie sich nur?
Ihn zu fragen, weshalb er zurückgekommen war, also wirklich! Er musste herkommen, um zu verhindern, dass sie einen Mann heiratete, der Teil eines großen Übels war. Glaubte sie, es mache ihm Spaß, ihre Hochzeit zu ruinieren?
Gott, hoffentlich nicht, denn es hatte ihm Spaß gemacht. Violet von der Heirat mit Villiers abzuhalten war vergnüglicher gewesen als die ganzen letzten fünf Jahre seines Lebens.
Was wirklich erbärmlich war.
Er beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Als er Violet das letzte Mal verlassen hatte, hatte er gewusst, dass es für sie keine Zukunft geben konnte. Sosehr er sie auch anbetete, im Laufe der Jahre hatten zu viele kapriziöse Frauen seinen Weg gekreuzt. Und ihm waren zu viele auch wieder genommen worden. Zu oft schon hatte man ihn betrogen, enttäuscht, gefährdet und zum Narren gehalten.
Das Lachhafte war, dass ihn nichts von alledem immun gegen die Frauen oder die Liebe gemacht hatte. Vielmehr war er zu einem Feigling geworden, der sich nicht traute, sein Herz – oder das einer anderen Person – aufs Spiel zu setzen, weil das Risiko zu hoch war, dass es gebrochen werden würde.
Er lauschte in die Dunkelheit, konzentrierte sich auf die Geräusche im Haus, bis er das eine fand, das er suchte. Violet. Sie sprach mit Eliza, fragte, ob Payen angedeutet hätte, wie lange er bleiben wollte.
Lange genug, um sich zu überzeugen, dass sie sicher war. Dann würde er wieder gehen. Aber er hatte arrangiert, dass Eliza und Henry seine Anwesen in Frankreich oder Venedig nutzen konnten, falls Violet
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