Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
Menolly hatte recht. Offensichtlich hatte Wisteria sich tatsächlich auf Delilahs Hals gestürzt, denn das hier war kein Knutschfleck. Blut sickerte aus der Wunde, und an den Rändern sammelte sich bereits merkwürdiger grüner Eiter.
»Der Kohlkopf wollte nur etwas zu trinken – na klar. Dann hat sie Delilah angegriffen, die ihr den Becher hingehalten hat.« Menolly ließ sich mit empörtem Schnauben auf einem Stuhl nieder und schlug anmutig ein Bein über.
»Lebt sie noch?« Nachdem ich meine Schwester in Aktion gesehen hatte, machte ich mir keine großen Hoffnungen, doch Menolly überraschte mich.
»Ja, ich habe unsere kostbare Geisel am Leben gelassen. Aber ohne Hilfe wird sie sich nie befreien können«, sagte sie, und ein boshaftes Grinsen breitete sich über ihr Gesicht. »Ich weiß, wie man Knoten knüpft, und glaub mir, sie wird noch tagelang jeden einzelnen Muskel spüren.«
Delilah gab nach und ließ sich von mir die Wunde waschen, reinigen und verbinden. Der Biss sah hässlich aus, doch ich stäubte einen antibakteriellen Universal-Puder darauf, den die Heiler uns aus der Anderwelt mitgegeben hatten, und bedeckte die Wunde mit einer Mullbinde.
»Ich könnte jetzt sagen: Ich hab’s dir ja gesagt«, brummte ich. »Wann lernst du endlich, auf mich zu hören?«
»Ach, halt die Klappe«, sagte Delilah, doch ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Keine Sorge, mein Mitgefühl hat sie verspielt«, fügte sie hinzu. »Nicht zu fassen, dass sie versucht hat, mir ein Stück aus dem Hals zu beißen.«
»Du klingst überrascht.«
»Ich dachte nur... Ich hätte nie gedacht... « Delilah warf mir einen kurzen Blick zu, und ich wusste, was ihr so zu schaffen machte.
»Süße, du spielst vielleicht fair, aber Wisteria ist ein Feind. Vergiss das nie«, sagte ich und klebte vorsichtig das Ende der Mullbinde fest. »Diese Dämonen gieren nach Blut. Sie haben es darauf abgesehen, diese Welt und unsere Welt zu unterwerfen, und sie werden sich nicht an irgendwelche netten Regeln halten und Frauen und Kinder verschonen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie ihren Plan umsetzen.«
Ihre Lippen zitterten. Meine weichherzige Schwester, die immer das Beste glauben wollte, sich auf das Positive konzentrierte, das Negative eliminieren wollte, indem sie es einfach nicht zur Kenntnis nahm – sie begann, nicht nur die heldenhafte, sondern auch die hässliche Seite, die Schattenseite des Krieges zu sehen. Eine harte Lektion, aber eine, die sie lernen musste.
»Da hast du wohl recht«, sagte sie. »Ich kann nur nicht verstehen, dass sich eine von uns, aus unserer eigenen Welt, mit ihnen verbündet. Begreift Wisteria denn nicht, dass die Dämonen sie töten werden? Ich habe versucht, ihr das zu sagen, und sie hat mir ins Gesicht gelacht.«
»Bevor sie dich in den Hals gebissen hat?« Ich packte die Verbände und den Wundpuder wieder weg und wusch mir die Hände. »Hör mir zu. Leute – Menschen und Feen und Sidhe eingeschlossen – hören, was sie hören wollen, und glauben, was sie glauben wollen. So ist das Leben. Und jetzt müssen wir Wisteria irgendwo verstauen, bevor ich den Findezauber spreche, mit dem wir feststellen können, wo Luke steckt. Vorschläge werden gern entgegengenommen.«
»Ich glaube nicht, dass wir sie nach draußen bringen sollten. Falls Luke hier auftaucht, könnte er sie befreien, und dann hätten wir es mit zwei Irren zu tun.« Menolly blickte sich stirnrunzelnd um. »Wie wäre es mit dem Besenschrank? Du könntest sie mit einem deiner magischen Schlösser darin einsperren.«
»Unbedingt – weil die bei mir immer so prima funktionieren.« Die Versuche meines Mentors, mich das Anbringen von magischen Schlössern zu lehren, waren eine ungeheure Zeitverschwendung für uns beide gewesen. Bis heute hatte ich es bei hundert ernsthaften Versuchen genau dreimal geschafft. »Ich kann es probieren, aber ich garantiere für gar nichts.«
»Wie beruhigend. Ach, verdammt, es ist immerhin eine Chance, und wir würden dabei nicht viel Zeit verlieren.« Sie stand auf. »Ich melde mich freiwillig dafür, das Monster in den Schrank zu stecken, wenn du bereit bist, es zu versuchen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Menolly, entweder hast du ungeheuerliches Vertrauen zu mir, oder du hältst dich für stark genug, allem standzuhalten, was ich dir möglicherweise gleich an den Kopf werfen werde. Also schön, hol sie her, ich versuche es. Aber versprechen kann ich gar nichts.«
Als sie die gefesselte und geknebelte
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