Schwestern des Mondes 02 - Die Katze-09.06.13
Wahl.
Wir alle trafen eine Wahl, dachte ich und geriet kurz in Schwierigkeiten, bis mein Fuß einen kleinen Vorsprung fand. Wir alle fällten unsere Entscheidungen und lebten dann damit. Tante Rythwar hatte sich entschieden, Lethesanar den Rücken zu kehren. Vater hatte sich entschieden, der Krone treu zu bleiben, aber nicht der Königin. Und meine Schwestern und ich hatten uns dafür entschieden, erdseits zu bleiben und sowohl diese als auch unsere eigene Welt zu schützen, so gut wir konnten.
»Ich habe ein Sims gefunden«, unterbrach Menollys Stimme meine Gedanken.
»Wie weit noch?«, rief ich.
»Drei Meter, dann hast du es geschafft«, sagte sie.
Und sie behielt recht. Ein paar Minuten später streckte ich den Arm auf einen Felsvorsprung, und sie packte mich am Handgelenk. Mit einem kräftigen Zug hatte sie mich oben.
Keuchend ließ ich mich auf den Felsvorsprung fallen, blickte mich um und versuchte festzustellen, wo wir waren. Das Sims war gut drei Meter breit und ragte nur eine Fingerlänge über den Abhang vor. Wenn man dort unten stand, konnte man unmöglich sehen, dass hier oben so viel Platz war, selbst tagsüber. Die Steinplatte zog sich einen guten Meter weit in die Bergflanke hinein, die mit Kletterpflanzen und Dornenranken bedeckt war. Ich sah näher hin. Da, unter den schneebedeckten Blättern, klaffte der Eingang zu einer Höhle.
»Eine Höhle?«, bemerkte ich.
»Sieht so aus, als wäre der Eingang längst zugewuchert«, sagte Menolly. »Aber sieh mal, hier – die Ranken sind beiseitegeschoben worden. Und da«, fügte sie hinzu und deutete auf eine kleine Öffnung. »Irgendetwas war hier zugange. Wir sollten uns mal drinnen umsehen.«
Sie schüttelte den Schnee von den trockenen Blättern, und wir zogen langsam die Ranken beiseite, die den Zugang verdeckten. Ein paar ließen sich leicht bewegen, und ich sah, dass sie recht hatte. Die Stengel waren schon teilweise gebrochen.
Ich spähte nach drinnen. »Wenn wir nur eine Lampe hätten. Ich kann zwar einigermaßen sehen, und du auch, aber ich wäre lieber sicher, dass uns nichts Wichtiges entgeht.«
»Bleib hier – geh ja nicht ohne mich da rein«, sagte sie und trat leichthin über den Rand des Simses. Wie ein Drachen, den der Wind erfasst, wurde sie von einer Böe emporgeweht und begann dann zu fallen wie eine Feder. Menolly konnte nicht richtig fliegen, außer sie versuchte, sich in eine Fledermaus zu verwandeln, aber diesen Teil des Vampirismus beherrschte sie noch nicht so gut, dass sie ihn benutzen könnte. Aber schweben konnte sie gut.
Wenn sie nicht irgendetwas erschreckte, würde sie einfach langsam zu Boden treiben. Die Fähigkeit hatte ihre Grenzen, und Menolly lernte immer noch, sie richtig einzusetzen, aber sie war wirklich praktisch. Zum Beispiel, um den Julbaum an der Decke zu befestigen oder mich am Nackenfell von den Vorhängen zu pflücken, wenn ich wieder einmal daran hochgeklettert war.
Gleich darauf erschien sie wieder, und Camille klammerte sich in Todesangst an sie, die Arme fest um Menollys Taille geschlungen. Sie landeten sanft im dicken Schnee.
Camille schaltete ihre Taschenlampe ein und richtete sie auf den Höhleneingang. »Was haben wir denn hier?«
»Ich bin nicht sicher«, sagte ich. »Sehen wir mal nach.«
Damit riss ich die Ranken beiseite und trat vor.
Etwas Klebriges schlug mir ins Gesicht, und ich zuckte zusammen und erschreckte Camille, die direkt hinter mir stand.
»Was ist passiert? Alles in Ordnung?«, fragte sie.
Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht. Die Finger waren mit seidigen Fäden verklebt. Scheiße.
»Ja, aber das gefällt mir gar nicht«, sagte ich und trat ganz in die Höhle hinein.
Camille folgte mir und ließ den Lichtstrahl durch den Raum flackern; Menolly kam als Letzte. Die Höhle glitzerte im Strahl der Taschenlampe, gefüllt mit Tausenden von Spinnennetzen. Sie waren perfekt, hell wie Kristall und in zahllosen verrückten Mustern arrangiert – eine chaotische Vision in Seide. Es war keine Symmetrie zu erkennen, nur ein Kaleidoskop verrückt gewordener Schönheit.
»Spinnen«, flüsterte Camille. »Sind das... «
Menolly glitt durch die Netze und wischte sie einfach ab, als verscheuche sie eine Mücke. In der Mitte der Höhle beugte sie sich vor, um etwas zu betrachten, dann winkte sie uns herbei. Ich fand einen Stock, mit dem ich mir die Netze aus dem Weg schaffen konnte, und Camille und ich gingen zu Menolly hinüber. Sie kniete neben etwas, das wie eine
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