Schwestern des Mondes 05 - Katzenkrallen-09.06.13
ihren Köpfen hing.
Der Schatten stieß ein Kreischen aus und bewegte sich auf sie zu. Er hielt inne, als Camille den Spruch unterbrach und sagte: »Wag es ja nicht. Verschwinde, du Wurm, oder wir zerblasen dich zu Rauch und Asche.«
Ihre Stimme wurde von einer plötzlichen Brise erfasst. Ich konnte nicht erkennen, woher der Windstoß kam, aber er fuhr durch die Höhle, heulte wie eine Banshee und brachte ein Beben wie von einem Güterzug mit. Die Wolke über Camilles Kopf ließ ein tiefes Grollen hören - Donner. Die Spitze des Einhorn-Horns glühte jetzt.
Der Schatten rückte wieder vor, und nur die Augen glommen aus dem in Dunkel gehüllten Körper.
»Reverente destal a Mordenta!«, brüllte Morio, und Camille warf den Kopf zurück.
»Augen zuhalten!«, kreischte sie, und uns blieb gerade noch genug Zeit, den Blick abzuwenden, ehe ihr Zauber sich zu einem Lichtblitz konzentrierte, der weißglühend aus der Spitze des Horns hervorschoss. Er fuhr wie eine vielzinkige Gabel in den Geist hinein, und das Licht erhellte die ganze Höhle. Einen Moment lang sah ich nur helle Flecken vor den Augen, und dann erlosch das grelle Licht so plötzlich, wie es erschienen war. Der Schatten verschwand.
Menolly stöhnte, und ich rannte zu dem Felsen, hinter den sie sich geduckt hatte. Sie hatte ein paar Verbrennungen erlitten, aber die versengten Stellen - vor allem unter den Augen und an den Fingerspitzen - heilten bereits. Ich half ihr auf.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich überflüssigerweise. Offensichtlich hatte sie es relativ unbeschadet überstanden.
»Ja«, sagte sie. »Den Göttern sei Dank, dass sie einen Blitz benutzt hat, statt Feuer zu beschwören, sonst wäre ich jetzt wohl ein Häufchen Asche.«
Camille eilte mit weit aufgerissenen Augen zu uns herüber. »O Große Mutter, das tut mir so leid! Bist du verletzt? Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Wirkung derart gewaltig sein würde«, flüsterte sie und starrte auf das Horn in ihrer Hand. »Ich werde wohl noch ein bisschen üben müssen, ehe ich es vernünftig kontrollieren kann. Aber ich habe damit ja auch einen Blitz aufgehalten, als Eriskel mich auf die Probe gestellt hat.«
Eriskel war der Dschindasel des Horns, eine Art Schutzgeist, einem Dschinn nicht unähnlich, aber weder so mächtig noch so bösartig. Der Dschindasel wachte über die Elementare, die in dem Horn aus sich verjüngendem Kristall steckten. Ich hatte nicht alles verstanden, was Camille uns hatte erklären wollen, aber ich wusste, dass das Horn eine machtvolle Waffe war. Und ich hatte so das Gefühl, dass sie keine Ahnung hatte, wie machtvoll genau. Noch nicht.
»Da wirst du noch etwas üben müssen, allerdings. Pass bloß auf, dass ich dann nicht in Reichweite von dem Ding bin!«, schnaubte Menolly und stapfte zu der Stelle, wo der Geist verschwunden war. Von dem Schatten war nichts mehr zu sehen. Er war weg.
Wir alle wechselten einen Blick, und ich sah, wie Vanzir den Durchgang zur Kammer beäugte. Ein hässlicher und ausgesprochen unfreundlicher Gedanke zuckte mir durch den Kopf. Ich raste zu der Kammer.
Dort lag auf einem Podest aus Granit ein offenes Kästchen, von Hand aus Kristall geschliffen. In dem Kästchen lag ein Anhänger. Ein Rubin, in Bronze gefasst. Langsam nahm ich den schweren Talisman heraus, und in dem Edelstein flackerte schillerndes Licht auf, das mir den Atem verschlug. Das vierte Geistsiegel.
Als ich zum Durchgang blickte, stand Vanzir da und starrte mich an. Er lehnte an dem Bogen im Fels, und als sein Blick auf das Geistsiegel fiel, griff ich ohne zu zögern nach meinem Dolch. Er schnaubte.
»Wenn ich dir das Siegel wegnehmen wollte, könnte dein Dolch mich nicht daran hindern«, sagte er, und ein verächtlicher Unterton heizte seine Worte auf. »Glaub mir, nichts könnte sich mir in den Weg stellen, Werkatze. « Einen Augenblick lang schien er in die Höhe zu wachsen, und seine Augen glühten auf. Dann verblasste das Glimmen, und er entspannte sich.
»Ich habe euch mein Wort gegeben. Ich habe mich durch das Knechtschaftsritual an euch gebunden. Abgesehen davon, mir selbst die Kehle aufzuschlitzen, kann ich nicht mehr viel tun, damit ihr mir glaubt. Aber ich werde es ein letztes Mal versuchen. Ich begehre das Siegel nicht. Ich will auch nicht, dass Schattenschwinge es besitzt. Du scheinst das nicht zu glauben, aber die Existenz meiner Art hängt davon ab, dass die Menschheit seine Herrschaft unbeschadet übersteht. Wir haben ein sehr überzeugendes Motiv
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