Schwestern des Mondes 08 - Katzenjagd-09.06.13
Gedanke eine Scheißangst. Denn so sehr ich Chase mochte, musste ich doch allmählich erkennen, dass ich nie in ihn verliebt gewesen war. Sondern in die Vorstellung, verliebt zu sein.
»Nerissa, ich muss dich etwas fragen.«
»Was denn?« Sie seufzte leise, lehnte sich an die Scheibe, zog ein Knie an und stützte den Fuß an die Wand.
»Macht das Rainier-Rudel mich für Zachs Zustand verantwortlich? Gibt... gibt Zach mir die Schuld daran?« Ich musste es einfach wissen.
Nerissa stieß pfeifend den Atem aus. »Diese Frage habe ich erwartet. Ich habe mich schon gewundert, dass du es so lange ausgehalten hast, mich nicht danach zu fragen.« Sie wandte sich mir zu, legte mir die Hände auf die Schultern und schüttelte mich sacht. »Mädchen, an allem, was Zach passiert ist, war allein dieser verfluchte Karvanak schuld. Mach dir keine Vorwürfe. Ich gebe dir keinerlei Schuld daran, und Zach auch nicht. Er ... braucht nur Zeit für sich, um sich zu erholen und sich an sein neues Leben im Rollstuhl zu gewöhnen.«
Ich runzelte die Stirn. Meine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Chase brauchte Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass er tausend Jahre länger leben würde, als er erwartet hatte. Zachary brauchte Zeit, um sich an das Leben in einem Körper zu gewöhnen, der nicht mehr so funktionierte wie früher. Und Camille und ich waren gezwungen, uns zu verändern, jetzt schon einen großen Wandel durchzumachen, sie mit der Dunklen Feenkönigin und der Mondmutter, und ich mit Greta und dem Herbstkönig. Dieser Strudel der Veränderungen drohte uns alle emporzureißen wie ein Tornado. Nur leider würde der uns nicht nach Oz fegen, sondern schnurstracks vor den Schlund der U-Reiche, wo Schattenschwinge nur darauf wartete, unsere Seelen zu vertilgen, und die Seele der Welt.
»Oh!« Mir wurde schwindelig, und ich schwankte. Nerissa fing mich auf.
»Was hast du?«
Ich merkte, dass ich zu Atmen vergessen hatte, und holte tief Luft. Sofort entspannten sich meine Schultern, und ich schüttelte den Kopf. »Nichts, nur ... meine Gedanken sind so durcheinandergewirbelt, dass mir richtig schwindelig geworden ist. Mir geht es gut. Ehrlich.«
Und das meinte ich auch so. Ich würde das schon schaffen - ich konnte weder Chases Weg für ihn gehen noch Zacharys. Ich konnte Camille ebenso wenig helfen, ihre Aufgaben zu bewältigen, wie sie mir etwas von meinen abnehmen konnte. Ich konnte nur eines tun: mich meinem eigenen Leben, meinem eigenen Schicksal stellen. Urplötzlich fiel eine drückende Last von meinen Schultern, und ich atmete auf. Erst jetzt wurde mir bewusst, welche Schuldgefühle ich mir aufgeladen hatte - wegen Dingen, über die ich gar keine Kontrolle hatte.
»Fehlt dir wirklich nichts?« Nerissa sah sich um. »Wir können uns einen Moment hinsetzen, wenn du möchtest.«
Ich schüttelte den Kopf und stieß einen langen Atemzug aus. »Nein, mir geht es gut, ehrlich. Alles wird gut.« Als ich Yugi herbeieilen sah, fügte ich hinzu: »Also, du hast mir noch gar nicht geantwortet. Gibt das Rudel mir die Schuld daran?«
Ihr Blick glitt zur Seite, und sie starrte die Wand an. »Das Rainier-Puma-Rudel gibt dir keine Schuld, nein. Aber Zach machen sie Vorwürfe.«
Yugi trat zu uns.
Er räusperte sich und reichte mir ein Blatt Papier. »Hier, bitte, Delilah. Die Adressen, die du haben wolltest.« Er warf einen kurzen Blick auf Chases Bürotür, sah dann wieder mich an und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich will mich nicht einmischen, aber ... er vermisst dich. Das weiß ich. Was auch immer geschehen sein mag, war nicht leicht für ihn.«
Ich tätschelte seine Schulter. »Yugi, ich habe Chase nicht zum Teufel gejagt. Er hat mit mir Schluss gemacht. Aber wir sind immer noch gute Freunde.«
Yugi nickte und schaute erleichtert drein. »Okay, also ... dann gehe ich wohl besser zurück an meinen Platz. Brauchst du noch etwas?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, vorerst sind wir hier fertig. Komm.« Ich gab Nerissa einen Wink. »Hol Luke, wir sollten los. Sein Pick-up steht bei uns, also müssen wir nach Hause, damit er zur Arbeit fahren kann. Wenn ich einer dieser Spuren nachgehe, will ich Menolly im Rücken haben.«
Als wir das Gebäude verließen, hob ich den Blick zum Himmel. Es goss immer noch in Strömen. Die silbrigen Tropfen prasselten auf den Parkplatz herab und verwandelten ihn in einen Teich. Ich wusste nicht recht, was ich eigentlich empfand. Traurigkeit. Erleichterung. Sehnsucht. Hoffnung.
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