Schwesternkuss - Roman
hat einen Mann erschossen! Haltet sie fest!«
Wie bitte? Alice fehlten die Worte. Woher wusste er das? Sie hatte Knox viele Meilen von hier umgebracht.
»Ruft die Polizei, schnell!« Der Mann rannte auf sie zu, einen zweiten im Schlepptau.
»Hilfe!« Julie erkannte sofort die Chance, sprang aus dem Wagen und lief schreiend in Richtung Bank. »Jonah! Floyd! Helft mir!«
Alice wiederum rannte los, so schnell sie konnte. Aber sie konnte die beiden Männer nicht abhängen. Sie verfolgten sie von einer dunklen Straße in die nächste.
Dann ertönte ein wildes Hupen und die quietschenden Reifen eines Busses, was Alice aber nicht daran hinderte, weiterzulaufen. Vor ihr lag wie bestellt eine dunkle Gasse mit einem Hauseingang, in den sie blitzschnell eintauchte. Der gestoppte Bus verdeckte den Verfolgern für ein paar Sekunden die Sicht, aber das genügte. Die beiden Männer liefen an der Gasse vorbei, die Hauptstraße hinunter.
Alice spähte ihnen von ihrem Versteck aus nach.
Plötzlich spürte sie in ihrem Rücken etwas Hartes. Jemand nahm ihr die Kuriertasche von der Schulter.
»Dreh dich langsam um«, befahl eine Stimme. »Ich habe es gewusst: Wenn es eine dunkle Gasse mit direktem Blick auf die Bank gibt, wirst du früher oder später da auftauchen.«
Alice kannte die Stimme.
Es war die Stimme ihrer Schwester.
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Bennie zielte mit der Pistole auf Alices Kopf und zwang sie rückwärts in Richtung Mauer zu gehen. Jetzt war es so weit, die Geschichte würde ihr einzig richtiges Ende finden. Bennie würde ihre Zwillingsschwester töten.
»Bennie?« Alice hob die Hände hoch und blieb stehen. »Bennie? Bennie!«
Doch Bennie reagierte nicht. Sie war fest entschlossen. Ihre Hand war ruhig, sie war voll konzentriert. Sie nahm Aufstellung und richtete die Waffe exakt auf ihr Ziel aus.
»Warte! Was ist los mit dir? Was ist in dich gefahren? Was machst du da?«
Bennie antwortete nicht. Polizeisirenen heulten, sie kamen näher. Ihr blieb nicht viel Zeit. Sie spannte den Abzugshahn.
Alice brach in Tränen aus. »Bitte, lass mich leben!«
Aber Bennie konnte nur leben, wenn Alice tot war. Das war eine ganz einfache Gleichung.
»Bitte, nein!« Alice fiel auf die Knie. »Bitte, tu’s nicht!«
Bennie zielte genau auf ihre Stirn. Was sie im Sinn hatte, war kein Mord, sondern eine Exekution.
»Bitte!« Alice flehte sie an. »Bitte, bring mich nicht um! Das kannst du nicht!«
»Doch, ich kann.« Bennies Stimme klang sachlich und nüchtern, was sie selbst überraschte. »Du bist in mir, wie ich in dir bin. Deshalb konntest du mich nicht töten. Aber deshalb kann ich dich töten.«
»Nein, Bennie, bitte nicht!« Alice brach unter Tränen zusammen, ihre Stirn berührte den Boden.
Plötzlich waren Schritte zu hören. Bennie drehte sich um. Am Ende der Gasse tauchte eine Frau auf, man konnte sie nur im Umriss erkennen.
»Nein, Benedetta, tu es nicht«, beschwor sie sie mit leiser Stimme. Die Worte klangen wie eine Fürbitte.
Es gab nur einen Menschen, der sie Benedetta genannt hatte. Das war ihre Mutter gewesen. Die Gestalt, die am Ende der Gasse stand, war klein, ungefähr so groß wie ihre Mutter. Vielleicht war sie es?
Bennie wischte den Gedanken wie eine lästige Fliege beiseite. Sah sie schon Gespenster? Wenn, dann waren die Tabletten bestimmt daran schuld.
»Nein, Benedetta, tu es nicht.« Das weibliche Wesen sprach ihren Vornamen wie ihre Mutter in Italienisch aus.
Die Worte flossen in ihren Körper und klangen in ihm wider. Etwas löste sich in ihrer Brust. Tränen befeuchteten ihre Wangen. War das eine Vision? Oder war die Gestalt ein Engel? Ihre Mutter war schon lange Zeit tot und bestimmt bei den Engeln. Vielleicht war sie hierhergekommen, um sie vor dieser Bluttat zu bewahren.
Die Frau kam auf sie zu.
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Aber die Erscheinung war keine Vision, sie war auch kein Engel.
Es war ganz einfach eine ältere Frau, die ungefähr so groß wie ihre Mutter war. Sie hatte ähnliches dunkles Haar, aber im Glanz ihrer Augen lag etwas Seltsames. Klar, das war eine Verrückte, die Bennie an dem, was sie tun musste, hindern wollte.
»Geh!« Bennie senkte den Arm und verbarg die Pistole. Sie versuchte die Tränen zurückzuhalten. »Geh. Lass mich in Ruhe.«
»Du kennst mich nicht. Aber ich kenne dich«, sagte die Frau mit sicherer und fester Stimme. »Ich habe dich heute am frühen Abend am Flughafen in Philadelphia gesehen. Da konnte ich dich nicht im Stich lassen.«
»Geh!« Bennie schüttelte den Kopf.
»Es ist
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