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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sich plötzlich. »Sie wissen von ihnen?«

    »Ich weiß, dass dieses Haus ihnen einmal gehört hat. Vater und Sohn. Und dazu die Nichte des Mannes, ein Mädchen namens Amalthea. Hat meine Schwester auch nach ihnen gefragt?«
    Die Frau seufzte. »Sie wollte eben Bescheid wissen. Das konnte ich verstehen. Wenn Sie darüber nachdenken, ein Haus zu kaufen, wollen Sie doch wissen, wer es gebaut hat. Wer darin gewohnt hat.« Sie sah Maura an. »Es geht um sie, nicht wahr? Um die Lanks.«
    »Sind Sie hier in Fox Harbor aufgewachsen?«
    »Ja.«
    »Dann müssen Sie die Lanks ja gekannt haben.«
    Miss Clausen antwortete nicht gleich. Stattdessen stand sie auf und zog ihren Regenmantel aus. Mit bedächtigen Bewegungen hängte sie ihn an einen Garderobenhaken neben der Tür. »Er war in meiner Klasse«, sagte sie, immer noch mit dem Rücken zu Maura.
    »Wer?«
    »Elijah Lank. Seine Cousine Amalthea kannte ich nicht so gut, weil sie fünf Jahre jünger war als wir – noch ein kleines Kind. Aber Elijah haben wir alle gekannt.« Sie hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, als scheute sie davor zurück, den Namen laut auszusprechen.
    »Wie gut kannten Sie ihn?«
    »So gut, wie es eben nötig war.«
    »Hört sich an, als hätten Sie ihn nicht sonderlich gemocht.«
    Miss Clausen drehte sich um und sah ihr in die Augen. »Es ist schwer, jemanden zu mögen, der einem solche Angst einjagt.«
    Durch die Kellertür hörten sie das dumpfe Geräusch des Spatens, der in die Erde gerammt wurde. Tiefer und tiefer, auf der Suche nach den Geheimnissen, die dieses Haus barg. Ein Haus das auch nach so vielen Jahren noch ein stummer Zeuge eines furchtbaren Geschehens war.
    »Fox Harbor war damals ein kleines Kaff, Dr. Isles. Anders
als heute, wo die Leute von überall her kommen und sich Sommerhäuser kaufen. Damals waren die Einheimischen noch unter sich, und es war wichtig, dass man jeden kannte. Man musste wissen, welche Familien anständig waren und welchen man besser aus dem Weg ging. Über Elijah Lank wusste ich schon Bescheid, als er erst vierzehn Jahre alt war. Er war einer von den Jungs, um die man besser einen großen Boden machte.« Sie kam wieder an den Tisch und ließ sich auf den Stuhl fallen, als sei sie vollkommen erschöpft. Sie starrte auf die Resopal-Tischplatte hinab; es schien, als betrachtete sie ihr Spiegelbild im Wasser. Das Bild eines vierzehnjährigen Mädchens, das in Angst vor diesem Jungen lebte, der oben auf dem Berg wohnte.
    Maura wartete, den Blick auf den gesenkten Kopf mit dem struppigen grauen Bürstenhaar gerichtet. »Warum hatten Sie Angst vor ihm?«
    »Ich war nicht die Einzige. Wir hatten alle Angst vor Elijah Lank. Nachdem …«
    »Nachdem was?«
    Miss Clausen hob den Kopf. »Nachdem er dieses Mädchen lebendig begraben hatte.«
    In dem Schweigen, das nun folgte, konnte Maura das Gemurmel der Männer hören, die sich immer tiefer in den Kellerboden vorarbeiteten. Und sie spürte, wie ihr eigenes Herz gegen die Rippen pochte. Mein Gott, dachte sie. Was sie da unten wohl finden werden?
    »Sie war eine von den Neuen in der Stadt«, sagte Miss Clausen. »Alice Rose. Die Mädels auf den hinteren Bänken haben immer über sie geredet. Haben Witze über sie gerissen. Man konnte alle möglichen Gemeinheiten über Alice sagen und ungestraft davonkommen, denn sie konnte einen nicht hören. Sie hat nie mitgekriegt, wenn wir uns über sie lustig gemacht haben. Ich weiß, wir waren grausam, aber so sind Vierzehnjährige nun mal. Bevor sie lernen, sich in die Lage des anderen zu versetzen. Bevor sie am eigenen Leib erfahren, wie das ist.« Sie seufzte schwer, ein Ausdruck des
Bedauerns über ihre Jugendsünden, über allzu spät gelernte Lektionen.
    »Was ist mit Alice passiert?«
    »Elijah behauptete, es sei bloß ein Scherz gewesen. Er sagte, er habe von Anfang an vorgehabt, sie nach ein paar Stunden wieder rauszuziehen. Aber können Sie sich vorstellen, wie das gewesen sein muss, in einem Erdloch gefangen zu sein? So voller Panik, dass Sie sich in die Hosen machen? Niemand hört Sie schreien, niemand weiß, wo Sie sind, außer dem Jungen, der Sie in diese Lage gebracht hat.«
    Maura wartete schweigend. Ihr graute davor, das Ende der Geschichte zu hören.
    Miss Clausen sah die Besorgnis in ihren Augen und schüttelte den Kopf. »O nein, Alice ist nicht gestorben. Der Hund hat sie gerettet. Er wusste, wo sie war. Hat sich die Lunge aus dem Leib gekläfft und die Leute zu der Stelle geführt.«
    »Dann hat sie also

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