Schwesternmord
bereits, als Rizzoli den Dedham Parkway entlangfuhr. Nach einer Weile entdeckte sie Frosts Wagen und parkte dahinter. Sie stieg aus und setzte sich zu ihm ins Auto.
»Und?«, fragte sie. »Gibt’s was Neues?«
»Nichts. Tote Hose.«
»Verdammt. Es ist jetzt schon über eine Stunde her. Haben wir ihn verschreckt?«
»Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass es nicht Lank war.«
»Weißer Lieferwagen, in Pittsfield gestohlene Kennzeichen?«
»Na ja, er hat schließlich nicht angehalten. Und er ist nicht wiedergekommen.«
»Wann hat Van Gates das letzte Mal sein Haus verlassen?«
»Er und seine Frau sind gegen Mittag zum Einkaufen gefahren. Seitdem sind sie nicht mehr weggegangen.«
»Fahr los. Ich will mir das Haus mal von der Straße aus anschauen.«
Frost startete den Wagen und fuhr im Schritttempo an Van Gates’ Haus vorbei, so dass sie genug Zeit hatte, sein Herrenhaus an der Sprague Street zu bewundern. Sie kamen am Wagen des Überwachungsteams vorbei, der am anderen Ende des Blocks parkte, bogen um die Ecke und hielten am Straßenrand.
»Bist du sicher, dass sie zu Hause sind?«, fragte Rizzoli.
»Das Team hat weder ihn noch sie seit heute Mittag aus dem Haus kommen sehen.«
»Es kam mir alles verdammt dunkel vor.«
Sie saßen ein paar Minuten schweigend im Wagen, während
draußen die Dunkelheit immer weiter vorrückte. Und Rizzolis Unruhe wuchs. Sie hatte kein Licht brennen sehen. Schliefen die beiden schon? Hatten sie heimlich das Haus verlassen, unbemerkt vom Überwachungsteam?
Was hatte der Lieferwagen in dieser Gegend zu suchen?
Sie sah Frost an. »So, mir reicht’s jetzt. Ich will nicht länger warten. Wir statten ihnen jetzt einen Besuch ab.«
Frost fuhr zurück zum Haus und parkte davor. Sie klingelten, klopften an die Tür. Niemand öffnete. Rizzoli ging die Treppe hinunter und ein Stück den Gartenpfad entlang, drehte sich um und betrachtete die Fassade mit ihren phallischen weißen Säulen im Stil einer Südstaatenplantage. Auch oben brannte kein Licht. Der Lieferwagen, dachte sie. Der war nicht ohne Grund hier.
»Was denkst du?«, fragte Frost.
Rizzolis Herz begann heftiger zu pochen, und ein nervöses Kribbeln überlief sie. Sie deutete mit dem Kopf zur Seite, und Frost begriff sofort: Wir versuchen es von der Rückseite.
Sie ging im Bogen ums Haus herum und öffnete ein Tor. Dahinter erblickte sie nur einen schmalen Pfad, begrenzt von einem Zaun. Kein Platz für einen Garten – gerade mal genug für die zwei Mülltonnen, die im Durchgang standen. Sie hatten keinen Durchsuchungsbeschluss, aber irgendetwas stimmte hier nicht – irgendetwas hatte dieses Kribbeln in ihren Händen ausgelöst, in den Händen, die noch die Narben von Warren Hoyts Skalpell trugen. Ein Monster wie er hinterlässt Spuren in deinem Fleisch, in deinen Instinkten. Von diesem Moment an wirst du es immer spüren, wenn einer von seiner Sorte vorübergeht.
Frost folgte ihr auf dem Fuß, als sie an dunklen Fenstern vorbeischlich, an einer zentralen Klimaanlage, die warme Luft auf ihre fröstelnde Haut blies. Leise, ganz leise. Sie begingen jetzt offiziell Hausfriedensbruch, aber sie wollte nichts weiter als einen kurzen Blick durch ein Fenster oder die Hintertür werfen.
Sie bog um die Ecke und erblickte einen kleinen Garten,
umschlossen von einem Zaun. Das hintere Tor stand offen. Sie ging über den Rasen darauf zu und warf einen Blick in die Passage dahinter. Niemand zu sehen. Sie ging zurück zum Haus und hatte fast schon die Hintertür erreicht, als sie bemerkte, dass sie nicht ganz geschlossen war.
Rizzoli und Frost tauschten einen Blick. Im nächsten Augenblick hielten sie beide ihre Waffen in der Hand. Es war so schnell, so automatisch gegangen, dass sie sich nicht einmal daran erinnerte, ihre Pistole gezogen zu haben. Frost stieß die Hintertür leicht an, und sie schwang auf. Ein Stück des gefliesten Küchenbodens wurde sichtbar.
Und Blut.
Er schlüpfte hinein und tastete nach dem Lichtschalter. Das Deckenlicht ging an, und noch mehr Blut schrie sie von den Wänden an, von den Möbeln, eine so überwältigende Kakophonie, dass Rizzoli zurücktaumelte, als hätte ihr jemand einen Stoß versetzt. Das Baby in ihrem Bauch strampelte unruhig.
Frost ging hinaus auf den Flur, doch sie blieb wie erstarrt stehen und blickte auf Terence Van Gates hinab, der sie mit glasigen Augen anstarrte, wie ein Ertrunkener in einem See von Blut. Es ist noch nicht trocken.
»Rizzoli!«, hörte sie Frost rufen.
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