Schwesternmord
wächsernen Haut und den leeren, seelenlosen Augen. Rizzoli entdeckte eine von Bonnies Sandalen, die ein paar Schritte entfernt am Boden lag, und sie fragte sich, ob sie wohl in diesen unmöglichen Schuhen zu fliehen versucht hatte. Sie malte sich aus, wie sie voller Panik den Flur entlanggestöckelt war und Blutspritzer an der Wand hinterlassen hatte. Die Sanitäter hatten Bonnie schon abtransportiert, da starrte Rizzoli immer noch diese eine nutzlose Sandale an.
»Sie wird nicht durchkommen«, sagte Frost.
»Ich weiß.« Rizzoli sah ihn an. »Du hast Blut am Mund.«
»Du solltest dich mal im Spiegel anschauen. Ich würde sagen, wir haben beide ganz schön was abgekriegt.«
Sie dachte an all die schrecklichen Krankheiten, die durch Blut übertragen wurden. HIV, Hepatitis. »Sie schien mir eigentlich ganz gesund zu sein« – das war alles, was ihr in diesem Moment einfiel.
»Trotzdem«, meinte Frost. »Du bist schließlich schwanger.«
Und warum saß sie dann hier, über und über mit dem Blut einer fremden Frau bespritzt? Ich sollte zu Hause vor dem Fernseher hocken, dachte sie, und meine geschwollenen Beine hochlegen. Das ist kein Leben für eine werdende Mutter. Oder für irgendjemanden sonst.
Sie versuchte sich aus dem Sessel zu hieven. Frost streckte die Hand aus, und zum ersten Mal ergriff sie sie, ließ sich freiwillig von ihm aufhelfen. Manchmal, dachte sie, muss man einfach die Hilfe annehmen, die einem angeboten wird. Manchmal muss man einfach zugeben, dass man nicht alles allein hinbekommt. Ihre Bluse war steif, ihre Hände braun und verklebt. Bald würde die Spurensicherung eintreffen, und dann die Presse. Immer die verfluchte Presse.
Zeit, sich das Blut abzuwaschen und an die Arbeit zu gehen.
Als Maura aus ihrem Wagen stieg, sah sie sich einem Meer von Kameraobjektiven gegenüber, und von allen Seiten wurden ihr Mikrofone entgegengestreckt. Das flackernde blauweiße Licht von Streifenwagen fiel auf die Schar der Schaulustigen, die sich um das mit Polizeiband abgesperrte Grundstück drängten. Sie zögerte keine Sekunde, gab der Reporterschar keine Chance, sie einzukreisen, sondern marschierte schnurstracks auf das Haus zu, wo sie dem Polizisten zunickte, der an der Absperrung Wache hielt.
Seine Begrüßung wurde von einem verwirrten Blick begleitet. »Äh – Dr. Costas ist schon hier …«
»Und ich auch«, sagte sie und schlüpfte unter dem Band hindurch.
»Dr. Isles?«
»Er ist im Haus?«
»Ja, aber …«
Sie ging einfach weiter. Sie wusste, dass er sich ihr nicht in den Weg stellen würde. Ihrem souveränen, bestimmten Auftreten hatte sie es zu verdanken, dass kaum ein Polizist es je wagte, ihr den Zutritt zu einem Tatort zu verweigern. Vor der Tür blieb sie kurz stehen, um sich Handschuhe und Überschuhe anzuziehen – der vorgeschriebene Dresscode, wann immer Blut im Spiel war. Dann betrat sie das Haus. Die Beamten der Spurensicherung blickten kaum von ihrer Arbeit auf; sie kannten sie alle und hatten keinen Grund, sich über ihre Anwesenheit zu wundern. Ungehindert ging sie von der Eingangshalle weiter ins Wohnzimmer und sah den blutbefleckten Teppich, den verstreuten medizinischen Abfall, den die Sanitäter hinterlassen hatten. Der Boden war mit Spritzen, aufgerissenen Verpackungen und Fetzen von blutigem Verbandmull übersät. Keine Leiche.
Sie betrat einen Flur, an dessen Wänden die Gewaltorgie ihre Spuren hinterlassen hatte. Auf der einen Seite Spritzer
von arteriellem Blut. Auf der anderen, weniger auffallend, die Tropfen, die von der Messerklinge des Verfolgers gefallen waren.
»Doc?« Rizzoli stand am anderen Ende des Flurs.
»Warum haben Sie mich nicht angerufen?«, fragte Maura.
»Costas übernimmt diesen Fall.«
»Das habe ich gerade gehört.«
»Ihre Anwesenheit ist nicht erforderlich.«
»Sie hätten mir Bescheid sagen können, Jane. Sie hätten mich informieren sollen.«
»Das hier ist nicht Ihr Fall.«
»Es betrifft meine Schwester. Also geht es auch mich etwas an.«
»Genau deswegen ist es nicht Ihr Fall.« Rizzoli ging auf sie zu und sah sie dabei unverwandt an. »Das muss ich Ihnen nicht erst erklären.«
»Ich verlange ja gar nicht, dass ich offiziell mit der Autopsie betraut werde. Was mich ärgert, ist, dass niemand mich angerufen hat, um es mir zu sagen.«
»Ich bin nicht dazu gekommen, okay?«
»Ist das Ihre Ausrede?«
»Es ist die Wahrheit, verdammt noch mal!« Rizzoli deutete mit einer hektischen Geste auf die blutbespritzte Wand. »Wir
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