Schwesternmord
Bündel frischem Basilikum und sog gierig den Duft ein, dankbar für das intensive Aroma, das – wenn auch nur vorübergehend – die Gerüche des Autopsiesaals verdrängte. Eine Woche mit relativ fader französischer Küche hatte in ihr eine unbändige Gier auf Gewürze geweckt. Heute Abend, dachte sie, werde ich mir ein Thai-Curry kochen – so scharf, dass es mir den Mund verbrennt.
Zu Hause schlüpfte sie in Shorts und ein altes T-Shirt und stürzte sich in die Zubereitung des Essens. Sie schnitt Hühnerfleisch, Zwiebeln und Knoblauch klein und nippte zwischendurch an einem Glas kühlen weißen Bordeaux. Die Küche füllte sich mit dem warmen Duft von Jasminreis. Keine Zeit, an Blutgruppe B positiv und schwarzhaarige Frauen zu denken; das Öl im Topf wurde schon heiß. Zeit, das Hühnerfleisch anzubraten und die Currypaste dazuzugeben. Die Dose Kokosmilch einzurühren. Sie deckte den Topf zu, um das Curry auf kleiner Flamme köcheln zu lassen. Als sie den Kopf hob, fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild in der Scheibe des Küchenfensters.
Ich sehe aus wie sie. Ich gleiche ihr aufs Haar.
Ein eiskalter Schauer überlief sie, als ob das Gesicht im Fenster kein Spiegelbild wäre, sondern eine Erscheinung, die sie anstarrte. Der Topfdeckel ratterte im aufsteigenden Dampf. Geister, die sich zu befreien versuchten. Die verzweifelt um ihre Aufmerksamkeit rangen.
Sie schaltete die Kochplatte aus, ging zum Telefon und wählte eine Pagernummer, die sie auswendig kannte.
Sekunden später rief Jane Rizzoli zurück. Im Hintergrund konnte Maura ein Telefon läuten hören. Rizzoli war
also nicht zu Hause, sondern saß vermutlich noch an ihrem Schreibtisch im Präsidium.
»Entschuldigen Sie die Störung, Jane«, sagte Maura, »aber ich muss Sie etwas fragen.«
»Ist alles in Ordnung?«
»Ja, mir geht’s gut. Ich möchte nur noch etwas über diese Frau wissen.«
»Über Anna Jessop?«
»Ja. Sie sagten, sie hatte einen Führerschein dabei, der in Massachusetts ausgestellt war.«
»Das stimmt.«
»Wie lautet das Geburtsdatum auf dem Führerschein?«
»Was?«
»Heute bei der Autopsie sagten Sie, sie sei vierzig Jahre alt. An welchem Tag ist sie geboren?«
»Wieso fragen Sie das?«
»Bitte. Ich will es einfach wissen.«
»Okay. Sekunde.«
Maura hörte das Rascheln von Papieren, dann meldete Rizzoli sich wieder. »Laut diesem Führerschein ist ihr Geburtstag der fünfundzwanzigste November.«
Eine Weile sagte Maura gar nichts.
»Sind Sie noch dran?«, fragte Rizzoli.
»Ja.«
»Was ist das Problem, Doc? Was ist los?«
Maura schluckte. »Sie müssen etwas für mich tun, Jane. Es klingt sicher verrückt.«
»Nur zu.«
»Ich will, dass das Labor meine DNA mit ihrer vergleicht.«
Das Telefon im Hintergrund war endlich verstummt. »Sagen Sie das noch mal«, forderte Rizzoli Maura auf. »Ich fürchte, ich habe Sie nicht richtig verstanden.«
»Ich will wissen, ob meine DNA mit der von Anna Jessop übereinstimmt.«
»Hören Sie, ich gebe zu, dass die Ähnlichkeit groß ist …«
»Das ist noch nicht alles.«
»Was meinen Sie?«
»Wir haben beide dieselbe Blutgruppe. B positiv.«
Rizzoli argumentierte vernünftig: »Wie viele Menschen außer Ihnen haben noch Blutgruppe B positiv? Vielleicht zehn Prozent der Bevölkerung?«
»Und dann ihr Geburtstag. Sie sagten, Anna Jessop sei am fünfundzwanzigsten November geboren. Jane, das ist auch mein Geburtstag.«
Das verschlug Rizzoli für einen Moment die Sprache. Schließlich sagte sie leise: »Okay, jetzt haben Sie mir wirklich eine Gänsehaut eingejagt.«
»Sie verstehen jetzt, warum ich den Test will, oder? Alles an ihr – vom Aussehen über die Blutgruppe bis hin zum Geburtsdatum …« Maura hielt inne. »Das alles bin ich. Ich will wissen, wo diese Frau herkommt. Ich will wissen, wer sie ist.«
Eine lange Pause trat ein. Dann sagte Rizzoli: »Die Antwort auf diese Frage wird vermutlich sehr viel schwieriger zu finden sein, als wir geglaubt haben.«
»Wieso?«
»Wir haben heute Nachmittag eine Kreditauskunft über sie reinbekommen. Daraus geht hervor, dass ihr Mastercard-Konto erst sechs Monate alt ist.«
»Und?«
»Ihr Führerschein wurde vor vier Monaten ausgestellt. Und die Nummernschilder ihres Wagens wurden vor drei Monaten ausgegeben.«
»Was ist mit ihrer Wohnung? Sie hat doch eine Adresse in Brighton, nicht wahr? Sie müssen inzwischen mit ihren Nachbarn gesprochen haben.«
»Gestern am späten Abend haben wir endlich die Vermieterin erwischt. Sie
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