Schwiegermutter inklusive. Einen Mann gibt es selten allein (German Edition)
sagen:
„So
etwas habe ich noch nie erlebt.“
Dann war es endlich fast soweit, es war noch knapp eine Woche bis
zum errechneten Geburtstermin und ich lag wie ein gestrandeter Wal auf unserem
Sofa und wartete darauf, dass etwas passierte. Leider passierte nicht die
Geburt, sondern Ingrid, die mich anrief und das von mir am meisten gefürchtete
Wort (noch vor „Kaiserschnitt“) ins Telefon brüllte:
„Überraschung!“
Unter normalen Umständen wäre ich nun entsetzt aufgesprungen, da
ich aber in anderen Umständen war, musste ein kurzes Rollen auf die andere Pohälfte ausreichen.
„Was
für eine Überraschung?“, fragte ich Unheil ahnend.
„Klingt
meine Stimme nicht irgendwie anders als sonst?“ erkundigte sich Ingrid
geheimnisvoll.
„Nein.“
Ich konnte keinerlei Veränderung in ihrer Stimme hören.
„Klingt
sie nicht irgendwie näher?“
Näher? Nein, das durfte nicht sein. Es konnte auch nicht sein.
Ingrid und Igerich lehnten doch Reisen in „diesen
grauenvollen Moloch Berlin“ ab, außer wenn es darum ging, unsere Wohnung zu
verschandeln. Bislang war das der einzig wirklich sympathische Zug, den ich an
meiner Schwiegermutter finden konnte.
„Wo
bist du denn?“ Meine Stimme zitterte.
„Ich
bin ganz naaah !“, flötete Ingrid und hatte keine
Ahnung, dass sie für mich wie das Monster aus einem Horrorfilm klang, dass
endlich sein Opfer aufgespürt hatte, um es nun langsam zu Tode zu quälen.
„Wie
nah?“
„Im
Hotel eine Straße weiter! Ich bin extra nicht zu Jessica gezogen, ich hatte
letztes Mal das Gefühl, dass die das nicht so wirklich recht war.“
„Das
ist ja schön“, sagte ich so knapp ich konnte, um mein Entsetzen über Ingrids
Auftauchen zu überspielen.
„Leider
muss ich mal schnell auf die Toilette, du weißt schon, die Verstopfung und
meine Hämorrhoiden. Und den Lebertran habe ich auch noch nicht genommen.“ Mit
diesen Worten legte ich auf.
Mein Entsetzen machte Platz für Wut. Eine fürchterliche Wut. Die
ich nur an einem Menschen auslassen konnte: Ich rief Rigoletto bei der Arbeit an.
„Wieso
hast du mir nicht gesagt, dass deine Mutter nach Berlin kommt?“
„Meine
Mutter ist in Berlin?“ Rigoletto klang erstaunt.
„Sag
mir nicht, du hast das nicht gewusst?“
„Habe
ich wirklich nicht.“
„Wie
lange will deine Mutter bleiben? Was denkt sie sich? Will sie mit in den
Kreissaal? Und wenn das Baby zwei Wochen zu spät kommt? Bleibt sie solange im
Hotel? Und überhaupt, habe ich an diese doofe Kuh Jessica seit mindestens drei
Jahren nicht mehr gedacht.“
Rigoletto versuchte sein Bestes, mich zu beruhigen. Das gelang ihm allerdings nicht wirklich,
denn noch während er sagte: „Du hast meine Mutter bestimmt falsch verstanden
und wie kommst du jetzt auf Jessica“, platzte meine Fruchtblase.
„Jetzt
habe ich mich so aufgeregt, dass meine Fruchtblase geplatzt ist“, schrie ich
ins Telefon.
„Du
musst sofort kommen, es geht los.“
Am Abend desselben Tages brachte ich auf fast natürlichem Wege ein
gesundes Mädchen zur Welt. Nachdem ich stundenlang nur leichte Wehen hatte,
musste ich an den Wehentropf . Der Arzt konnte sich
beim besten Willen nicht erklären, warum meine Fruchtblase geplatzt war, wo das
Baby doch noch gar nicht bereit war, auf die Welt zu kommen.
„Da
müssen sie sich aber ganz schön aufgeregt haben, dass ihnen die Fruchtblase
verfrüht geplatzt ist“, sagte er zu mir. „Oder waren sie heute Morgen joggen?“
Ingrid erzählte später jedem, der es wissen wollte oder auch nicht,
was für ein Glück es doch war, dass sie gerade rechtzeitig nach Berlin gekommen
sei. Als hätte sie es geahnt, dass an diesem Tag ihr Enkelkind geboren wurde.
Ich erzählte es zwar niemandem, wusste aber, dass ich mein erstes Kind vor
Schreck über Ingrids Ankunft an diesem Tag bekommen hatte.
Mit dem Glück, dass Ingrid nach Berlin gekommen war, war es
überhaupt so eine Sache. Dank ihrer Anwesenheit in der Stadt war Rigoletto jedenfalls nicht bei der Geburt seines ersten
Kindes dabei.
Weitere Kostenlose Bücher