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Schwiegertöchter (German Edition)

Schwiegertöchter (German Edition)

Titel: Schwiegertöchter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Trollope
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und fuhr mit der Victoria Line bis Warren Street. Dann lief sie an Mario und seiner Kaffeebude vorbei die Gower Street hinunter zur Arbeit.
    Sigrids Vater war Ingenieur und ihre Mutter Ärztin. Sie hatte einen Bruder, der Avantgardekomponist geworden war und Musik für Kultfilme schrieb, die größtenteils in Berlin gedreht wurden, wo er jetzt auch lebte. Sigrid selbst hatte ihren Master in Informatik an der Universität von Uppsala gemacht und diesem Studium, angeregt durch befreundete englische Kommilitonen, Forschungsarbeiten an der Fakultät für Ingenieurwesen an der Universität von Loughborough folgen lassen, wo sie dann Edward kennen lernte, der zur Geburtstagsfeier eines alten Schulfreundes dorthin gekommen war. Was für ein Wochenende war das gewesen! Noch heute, zwölf, beinahe dreizehn Jahre später, konnte Sigrid nicht ohne ein Lächeln daran zurückdenken.
    Da war sie nun, achtunddreißig Jahre alt, Edwards Frau, Mariellas Mutter, und Gebieterin über ihren eigenen Teilchenbeschleuniger, der Materialien analysieren konnte, ohne sie zu zerstören, und daher von unschätzbarem Wert für Museen und Kunstsammler war. Im Jahr zuvor konnte sie einen großen Triumph verbuchen, als sie für einen Privatsammler eine Feder- und Tuschezeichnung aus dem sechzehnten Jahrhundert untersuchte und nachweisen konnte, dass sowohl Tusche als auch das Papier aus derselben Periode und geografischen Region stammten wie Leonardo da Vinci persönlich. Der Sammler war außer sich gewesen vor begeisterter Dankbarkeit. Er wollte Sigrid und ihre Familie zu einem Skiurlaub in seinem Chalet in Gstaad einladen. Aber Sigrid hatte freundlich abgelehnt. In ihrem Laborkittel mit den zurückgebundenen Haaren und der Brille war sie nicht die Blondine in kniehohen Stiefeln, der Mario gern einen Kaffee spendierte, soweit es ihr Berufsleben anging, war es die Laborkittel-Sigrid, die sich erfolgreich behauptete.
    Als sie mit dem Kaffee und ihrer Aktentasche in der Hand das Gebäude von der Gower Street aus betrat, dachte Sigrid mit dankbarer Vorfreude an ihren Laborkittel. Der Leiter des Labors war auf einer Konferenz in Helsinki, und immer wenn er weg war, ging man davon aus, dass Sigrid die Leitung innehatte, eine Annahme, die niemand im Labor anzuzweifeln schien, außer einem gescheiten, rotblonden Jungen namens Philip, der um Sigrids Aufmerksamkeit buhlte und glaubte, ihre Autorität in Frage zu stellen sei ein guter Weg, sie zu bekommen. Doch an diesem Morgen war sogar die Aussicht darauf verlockend, sich Philips lästiger Art zu erwehren; besser jedenfalls, als das Wochenende damit zu verbringen, Edward am Telefon mit seinen Eltern oder seinen Brüdern oder wieder seinen Eltern zuzuhören, wie sie sich endlos in einem Kreis aus Besorgnis und Vorschlägen und Gegenvorschlägen und Erschöpfung drehten, der Sigrid schließlich dazu gebracht hatte, sich Mariella und ihre drei derzeit besten Freundinnen zu schnappen und gewaltige Mengen pastellfarbener Cup Cakes in einer amerikanischen Bäckerei zu vertilgen, die zurzeit das Nirwana für Mariellas ganze Klasse bedeutete.
    »Das ist ganz ungesund für euch«, sagte Sigrid, als sie ihnen beim Essen zusah. »Das ganze Fett und der Zucker. Jeder Bissen bloß leere Kalorien.«
    Mariellas Freundin Bella hielt ihr ein gefährlich rotes, mit Buttercreme überzogenes Törtchen hin. Ihr Mund war davon schon vollkommen verkrustet.
    »Roter Samt«, sagte sie. »Probieren Sie. Sie werden sehen, dafür wird man gern dick und pickelig.«
    Am Abend, nachdem Mariella ins Bett gegangen war – wie jeden Abend begleitet von ihrem iPod und siebzehn Stofftieren, die laut Mariella allesamt beleidigt wären, wenn sie nachts nicht in ihr Bett dürften –, bereitete Sigrid ihr übliches Sonntagabendessen aus Matjeshering, Schwarzbrot und Gewürzgurkensalat zu und nahm ein Glas Sauvignon Blanc aus Neuseeland mit in das kleine Zimmer neben der Küche, wo ein großer Plasmafernseher in die Regalwand eingebaut war. Edward folgte ihr. Sigrid setzte sich gegenüber vom Bildschirm auf das Sofa und richtete die Fernbedienung darauf. Edward beugte sich vor und nahm ihr das Gerät aus der Hand.
    »Bitte nicht«, sagte Sigrid.
    Edward setzte sich dicht neben sie. »Ich muss mit dir reden.«
    »Du hast das ganze Wochenende geredet.«
    »Ja«, bestätigte Edward. »Aber nicht mit dir. Wie du weißt, hab ich die ganze Zeit mit meiner verdammten, nervtötenden Familie geredet, und jetzt muss ich mit jemandem reden, der noch bei

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